reflektive
Immer mehr Familien leben im Eineinhalb-Ernährermodell.

Eineinhalb-Ernährer: Frauen sitzen zwischen alten Stühlen

Die Halbernährer hierzulande werden immer mehr. Das zeigt eine neue AK-Studie zu den Arbeitszeiten von Paaren mit Kindern. Für die hiesige Politik ist das kein Grund zum Umdenken.

Männer, die nach der Familiengründung weiterhin Vollzeit arbeiten und Frauen, die dauerhaft teilzeitbeschäftigt bleiben, sind in Österreich in den letzten fünf, zehn Jahren zur Norm geworden.
Eine Studie von FORBA im Auftrag der Arbeiterkammer zur Arbeitszeit-Verteilung von Paaren zeigt dies ganz deutlich: Innerhalb der letzten zehn Jahre (2005 – 2015) stieg der Anteil der „Mann Vollzeit – Frau Teilzeit“-Paare von 38 auf 48 Prozent. Fast die Hälfte der Paare mit Kindern unter 15 Jahren lebt also in diesem Modell. Auch bei Paaren ohne Kinder unter 15 Jahren im Haus stieg das Modell „Mann Vollzeit – Frau Teilzeit“ von 21 auf 28 Prozent beträchtlich an.

Immer weniger Hausfrauen

Die zweite wichtige Veränderung innerhalb der letzten zehn Jahre: Das Modell „Mann Vollzeit – Frau nicht erwerbstätig“ sank von 36 Prozent auf 27 Prozent. Familien mit Hausfrauen, die keinerlei Erwerbstätigkeit nachgehen, werden also weniger. Beide Entwicklungen verdeutlichen, dass immer mehr Frauen (ob mit oder ohne Kind im betreuungsintensiven Alter) teilzeitbeschäftigt sind.

Diese neuen Strukturen am Arbeitsmarkt, die historisch gewachsen sind, stehen einem Sozialsystem gegenüber, das auf dem Ein-Ernährermodell beruht: Es baut darauf auf, dass eine umfassende soziale Absicherung (etwa in der Arbeitslosenversicherung oder der Pension) nur durch eine lückenlose, langandauernde Vollzeitbeschäftigung erreicht werden kann. In der Nachkriegszeit wurde dieses Absicherungsmodell für die (männlichen) Erwerbstätigen geschaffen – sie arbeiteten Vollzeit, ohne Unterbrechung und konnten mit diesem Gehalt eine ganze Familie (Frau und Kinder) mitversorgen. Arbeitseinkommen und Pensionen zielten mit der Schaffung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes 1956 (ASVG) darauf ab, dieses Modell zu fördern und abzusichern. Für Frauen bzw. Mütter war die soziale Absicherung ungleich prekärer, nämlich über Heirat und – bei Scheidung – über Unterhaltszahlungen des Ex-Mannes, jedoch nicht oder kaum über Erwerbsarbeit.

Heutige Gehälter taugen nicht mehr zum Allein-Ernährer

Die Grundlage dieser Entwicklung war eine Lohnstruktur, die es einer Familie ermöglichte, mit einem einzigen Einkommen auszukommen. In der Gegenwart entspricht das mittlere Einkommen eines/einer Vollzeitbeschäftigten rund 40.000 Euro jährlich (Quelle Einkommensbericht 2016). Monatlich wird daraus ein Brutto-Bezug von 2.860 Euro, was wiederum einem Netto-Bezug von 1.940 Euro entspricht. Eine vierköpfige Familie mit diesem Einkommen zu ernähren und eine angemessene soziale Integration zu ermöglichen ist angesichts der in den letzten Jahren rasant gestiegenen Lebenserhaltungskosten eine Aufgabe, an der viele Paare fast zwangsläufig scheitern müssen.

Die zunehmende Erwerbstätigkeit von Frauen und ihre schnellere Rückkehr in den Beruf nach der Babypause ist demnach nur zum Teil Ausdruck von Emanzipation und dem Willen zu ökonomischer und sozialer Unabhängigkeit von Frauen. Für Familien ist ein Zweiteinkommen seit gut zwei Jahrzehnten schlicht unverzichtbar, um finanziell über die Runden zu kommen. Die Zahlen der AK-Studie verdeutlichen besonders drastisch, dass sich unter wohlwollender Duldung der Politik ein neues Ernährer-Modell herauskristallisiert hat: das Eineinhalb-Ernährermodell.

Frauen sitzen zwischen allen Stühlen

Bleibt die Frage, was mit den vielen Erwerbstätigen geschieht, die in ihrer Funktion „nur“ halbe Ernährer sind. Für sie, und es sind vornehmlich Frauen, gibt es im Sozialsystem keine Entsprechung, das heißt aus ihrer Form der Erwerbstätigkeit erwächst keine ausreichende soziale Absicherung. Gleichzeitig sind Frauen aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen auch nicht mehr, bzw. noch weniger über Beziehung und Ehe finanziell abgesichert, was dazu führt, dass sie nun – vom sozialen Fundament her – zwischen allen (alten) Stühlen sitzen.

Die zunehmende Auflösung des Modells Vollbeschäftigung in unserer Gesellschaft trifft aber freilich nicht nur Frauen, sondern generell prekär oder auch atypisch Beschäftigte sowie Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht 40 Jahre ununterbrochen im Vollzeitmodus dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen können. Weder hat die SPÖ in den vergangenen Jahren neue Modelle der sozialen Absicherung präsentiert noch die ÖVP, der es stets um weitere Deregulierung am Arbeitsmarkt geht, mit dem Versprechen, dadurch die Wirtschaft zu stärken.

Es gibt inzwischen sehr viele Menschen in Österreich, die einer Beschäftigung nachgehen, die sie aktuell zwar über Wasser hält, aber sicher nicht im Fall von Krankheit und/oder Arbeitslosigkeit und ganz sicher nicht im Alter vor Armut bewahrt. „Dann sollen sie halt Vollzeit arbeiten“ ist dabei eine ebenso zynische wie kurzsichtige Argumentation, die mit den Realitäten auf dem aktuellen Arbeitsmarkt nicht zusammenpasst. Besonders ärgerlich ist jedoch die Haltung der Politik, die einfach nur zusieht und mit den Schultern zuckt, wenn die ganzen halben ErnährerIinnen über die (soziale) Klinge springen.

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Ina Freudenschuss

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