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Die Grünen nicht alleine lassen

Die Grünen sind das erste Mal als Koalitionspartner in der Regierung. Aber bis jetzt weniger als Partner, denn als Koalitionsvollzieher: Voller Verantwortung und aus Mangel an Alternativen vertreten sie nun viele schmerzhafte bis diametrale „Regierungsbotschaften“.

Vier hoffnungsvolle Gründe, warum dies trotzdem irgendwie gelingen kann.

Ohne Zweifel: Ja, es ist übel

Die ersten Reaktionen haben einen eindeutigen Tenor: die ÖVP ist noch immer auf FPÖ-Linie in Asyl-, Migrations-, Integrationsfragen unterwegs, die Grünen bekommen eine Arbeitsgruppe („Taskforce“) für eine undefinierte Öko-Steuerreform in zwei Jahren und eine Umweltministerin, die ein „Superministerium“ ohne Budgetressourcen bekommt, welche die bevorstehende Klimakatastrophe vorerst mehr mit Worten als mit Taten und Maßnahmen bekämpfen wird. Besonders in Kritik stehen die präventive Sicherungshaft („Haft auf Verdacht“), das Kopftuchverbot bis 14 Jahre, fehlende Armutsbekämpfung oder das Weiterwurtscheln im selektiven Bildungsbereich. Es wird sich erst in Zukunft zeigen, ob diese Zugeständnisse es politisch wert waren, um eine Klimapolitik mit grüner Handschrift umzusetzen.

Ohne Zweifel sind die ÖVP-Interessen im Text des Regierungsprogramms konkreter und auch mit Zeitplänen besser bedacht, als die den Grünen zurechenbaren Konzepte, die vielfach noch im „Prüfmodus“ angeführt werden. Hier braucht es kein Insiderwissen, um zu erkennen, dass die Durchsetzung dieser Ideen sich unwahrscheinlicher bis schwerer darstellt. Denn was kann ein sprachlich umschriebener Mindestlohn, wenn er keine Höhe hat? Was kann eine Ökosteuerreform, wenn nicht einmal die Höhe oder Spannweite des CO2-Preises angeführt wird?

Mehr war mit der ÖVP nicht möglich. Österreich wird also öko-konservativ. Doch worin lassen sich Hoffnungsschimmer finden?

Durchbruch des Message-Schauspiels: Ja, es schmerzt!

Schon die vielen Presse-Auftritte von Sebastian Kurz und Werner Kogler zeigten ein verändertes Bild im Vergleich zu Kurz und Strache. Während Strache als rechtsliberaler Staatsmann populistischen Zuschnitts agierte und im Message-Controll-Spiel weitgehend mitspielte, ist Werner Kogler noch immer in seinem gewohnten steirischen launischen Element. Wer ihm genau zuhört, hört vieles heraus, was nicht genuin unter Message-Control fallen kann. Kogler relativiert, er klärt auf, er kommuniziert Politik mehr als er sie nur verkauft. Wenn er anführt, dass es kein Messinstrument für die Schmerzen gibt, die er in den Verhandlungen gespürt habe (siehe Standard-Beitrag), dann verdeutlicht dies gut, dass es für ihn und die grünen VerhandlerInnen mehr als schwer war. Und noch schwer wird.

Good und Bad: Besser Gegenposition als Opposition?

Die ÖVP erlebt seit den von Sebastian Kurz betriebenen Machtwechsels einen politischen Höhenflug. Als politischer Allzweckjoker dient das Flüchtlings- und Migrationsthema. Damit wird mehr als politisches Kleingeld gewechselt, es ist bereits zu einem notwendigen Garantieschein geworden, das alle Fragen des sozialen Zusammenspiels weniger als soziale, denn als kulturelle Ungleichheit umdeutet. Hauptsache, wir fühlen uns sicher bzw. haben Angst vor Menschen, die aus Kriegsgebieten und Krisenregionen um ihr Leben zu retten hier her flüchten. In den letzten zwei Jahren holte die türkise ÖVP das Migrationsthema immer wieder aus dem Hut um von Krisen und Unstimmigkeiten abzulenken. Nun muss die ÖVP nicht mehr die FPÖ in der Regierung rechts überholen. Und selbst wenn die türkise ÖVP dieses populistische Ablenkmanöver ab und zu versucht, um die ehemaligen FPÖ-WählerInnen zu halten, kommt einem Grünen Regierungspartner mehr Aufmerksamkeit in seiner Gegenposition zu, als einer Oppositionspartei. Vielleicht wird die ÖVP durch die neue Regierungskonstellation so auch etwas ausgebremst? Denn jeder Bad Cop braucht einen guten. Und hier sind die Rollen recht klar neu verteilt.

Wer ist auf dem Spielfeld?

Auch die politische Sprache und Kultur wird sich verändern. Das ist bereits jetzt ansatzweise zu bemerken: Im Vergleich zum ÖVP/FPÖ Regierungsprogramm vor zwei Jahren geht es weniger um Heimat und seine mutmaßlichen Bedrohungen, sondern um Klima und Umwelt, um Transparenz und Information. Dies alles ist bis jetzt nur ausgedrucktes Papier, doch die Chancen stehen gut, dass die Diskussionen und Debatten sich genau um diese Themen bewegen werden. Denn in den nächsten Jahren ist der klimapolitische Schwerpunkt als zentraler Diskurs gesetzt. Die gestärkte Klimabewegung, als auch die neue EU-Kommission stützen dieses Anliegen. Die Grünen sind nun am Spielfeld. Sie mögen weniger SpielerInnen sein, aber sie sind erstmals gezwungen, ihre Chancen auch wirklich zu verwerten.

Grün- und SPÖ-WählerInnen und Sympathisierende, wo seid ihr?

Alle jene, die eine Politik wollen, die sich um den gesellschaftlichen sozialen Ausgleich bemüht, die mehr mutige Klimapolitik für die zukünftigen Generationen fordert und umsetzt, die Frauenpolitik als Gleichstellungspolitik begreift, die Menschen in Notlagen wieder aufhilft und Perspektiven bietet, die Arme nicht gegen noch Ärmere ausspielt, die Heimat und Herkunft nicht instrumentalisiert und die Religion nicht nach der Freund-Feindlogik begreift, und die Verfassungsbestimmungen und Menschenrechte ernst nimmt, sind nun mehr denn je aufgefordert, sich deutlich wahrnehmbar und effektiv an Debatten und Diskussionen zu beteiligen. Beziehen wir Position, lassen wir reale und virtuelle Hasstiraden nicht durchgehen, nutzen wir das Recht unsere Meinung kundzutun, schreiben wir Postings, Leserbriefe, gehen wir zu den Wahlen, und auf Demos, machen wir uns sichtbar. Lassen wir die Grünen nicht alleine.

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Anna Schopf

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