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James Timothy Peters, Pixabay

Wahlgeheimnis Erziehung

Ökonomische Faktoren  müssen oft als Wahlmotive für rechte Parteien herhalten. Doch der Ort, wo Gesinnungen sich langsam zu politischen Orientierungen ausreifen, ist ein anderer: Die Kindheit.

Was frühkindliche Bindungen, gewaltvolle Kindheitserfahrungen und schreiende Babys in der Nacht mit Menschenbildern und politischer Orientierung zu tun haben, zeigt ein neues Buch.

Erziehung als Missing Link

Die Wahlergebnisse der letzten Jahre in Österreich, Deutschland, Italien, Frankreich oder auch den USA zeigen deutlich, dass rechtspopulistische Parteien an Terrain und Diskursdominanz gewinnen. Vorschnell werden rechte WählerInnengruppen als schlechtverdienende AbstiegsverliererInnen diskreditiert.  Als Wahlmotive werden neben der politischen Unzufriedenheit Angst vor dem sozialen Abstieg oder Armut genannt. Doch so einfach ist es nicht.

Tatsächlich hatte Trump 2016 eine Mehrheit bei allen Einkommensschichten – nur nicht bei den Ärmsten. Der Erfolg der deutschen AfD wird von SoziologInnen auch als „Aufstand der Etablierten“ als Form des politischen Mittelschichtsprotests beschrieben. Ein Blick auf das Wahlverhalten und das Bildungsniveau zeigt in Bezug auf die deutsche AfD und amerikanische Präsidentenwahl 2016 keine besondere Richtung. Eine Ausnahme bildet die FPÖ in Österreich. Sie wird von mehr ArbeiterInnen  als von AkademikerInnen gewählt.

Bildung, Alter, Geschlecht , all diese Faktoren spielen eine Rolle, aber Aspekte der Sozialisation – also jene Instanzen mit denen wir aufwachsen, wie etwa die Familie oder die Schule, beeinflussen ebenso unser politische Ausrichtung. Dort lernen wir Spielregeln, die unsere Sicht auf die Welt prägen. Ein neues Buch von Herbert Renz-Polster nähert sich diesem Innenleben und macht sichtbar, welche Rolle die Kindheit auf unsere politische Weltsicht spielen kann.

Identitäten statt Realitäten

Alle aktuellen populistischen Bewegungen haben – neben ihren spezifischen nationalen Spielarten –  eines gemein: sie fühlen sich bedroht und auch schnell als Opfer. Aber die Bedrohung entsteht nicht durch die wachsende soziale Ungleichheit, den Klimawandel, unbezahlbaren Wohnraum oder die Steuerflucht von Großkonzernen. Nein, sie sehen die deutsche oder die französische Sprache und  Kultur bedroht. Auch in Großbritannien heißt es im Brexit-Gegrölle statt „I want my money back“ „I want my country back“. Und das, was die (mehrheitlich männlichen) Anhänger eint, ist die Sehnsucht oder der Wunsch nach (einfacher) Ordnung und nach Eigenverantwortung. Ebenso besteht ein erhöhtes Bedürfnis nach Sauberkeit und Reinheit, was viele Rechtspopulisten und Konservative auch sprachlich gut einzufangen wissen. So war es sicher kein Zufall, dass Arnold Schwarzenegger mit einem Besen Kalifornien sauber bekommen wollte („Clean the house“ Kampagne).

Wütlinge im Sandkasten oder in der Weltpolitik

Es ist leicht vorzustellen, wie Boris Johnson oder Donald Trump als Kinder im Pausenhof getobt und gewütet haben. Bekannt ist, dass Donald Trump im Internat abgehärtet wurde. Sein strenger Vater  lehrte ihn, dass nur die Starken das Sagen haben („Be a killer“, FAZ, 2016). Der (wirtschaftliche) Egoismus in „Greater Again“-Reinform. 

Augenscheinlich hat es der Wahlkampf von Trump gemacht: „Nein, da wurde niemand mit falschen Versprechungen verführt, Trump hat von Anfang an den brutalen gnadenlosen Triumphator gegeben – und genau für diese Rolle wurde er gewählt. Er hat gesagt was er denkt und welche Gesellschaft er aufbauen will, in klaren und seiner Natur gemäßen simplen Worten. Auch dass er einen an der Waffel hat – er hat es nicht verborgen, im Gegenteil. Er hat sich nie anders gebärdet als das Mobber-Kind im Sandkasten: niederträchtig, mitleidslos, gemein. Entweder ich gewinne, oder ich greife dich an. Im ganzen Wahlkampf kein Wort der Güte, des Ausgleichs, kein Wort der Würde. Er hat gepöbelt, gehetzt, gelogen, Frauen begrapscht, und damit öffentlich geprahlt, er hat sich lustig gemacht über Behinderte und praktisch jede ethnische Minderheit. […] Kurz: Trump hat diese Wahl gewonnen, weil er für die autoritäre Gesinnung steht. Und weil ein großer Teil der dort lebenden Menschen diese teilen.“ (S. 29/30)  Autoritäre Einstellungen oder Positionen haben nicht nur in rechtspopulistischen Parteien ein zuhause, aber diese können auf diesem Fahrwasser gut gleiten. Ein erstes Zuhause kann das Autoritäre auch in der Familie haben.

Team Strenge gegen Team Fürsorge

Überzeugungen gibt es immer im Kombi-Paket. Die Einstellung zur Gleichstellung von Frauen und Männern geht zum Beispiel mit der Überzeugung zu Umweltpolitik einher. Die Klammer bildet das Bild von der Welt bzw. auch das Menschenbild. Der Kinderarzt und Autor Renz-Polster führt anhand von Landkarten, die Einstellungen zu Erziehung beinhalten, und den dazugehörigen Wahlergebnissen anschaulich aus, was parteistrategische Mapping-Insider sicherlich schon lange wissen: Der Zugang zu strenger und züchtigender Kindererziehung geht mit einer konservativen und für autoritäre Bewegungen affinen politischen Einstellungen einher. Jene US-Bundesstaaten, wo mehrheitlich die „gesunden Schläge“ für Kindererziehung als Erziehungsstandard gelten, gingen klar an Trump. Hier herrscht das Team Strenge unter dem Wahlvolk.

Immer wieder werden im Buch Zahlen und Fakten zu kindlichen Gewalterfahrungen angeführt: Schläge und körperliche Züchtigung gehör(t)en in der USA, in Frankreich aber auch in der damaligen DDR zum Kindheitsalltag dazu. So werden heute nur acht Prozent der französischen Kinder zwischen drei und sechs Jahren gewaltfrei erzogen. Diese Methoden finden sich auch im Schulsystem wieder. Fast in der Hälfte der US-Bundesstaaten dürfen LehrerInnen ihre SchülerInnen körperlich bestrafen. Auch Trump hat in seiner Kindheit „rough guys“ zur Abhärtung erfahren. Er konnte dann später als Präsidentschaftskanditat genau auf dieser „Landkarte der kindlichen Not“ seine Wahlerfolge feiern.

Das Team Fürsorge hat zwar in den letzten beiden Elterngenerationen an Boden gewonnen, doch nach wie vor ist unsere Gesellschaft von vielen Stimmen aus dem Team Strenge BefürworterInnen in Politik, Bildung und Medien durchdrungen. Die kinderskeptische bis -feindliche Grundeinstellung, die sich im Arbeitsleben, Öffis, Supermärkten und in Gasthäusern zeigt, bildet immer nur einen kleinen Ausschnitt dessen ab, wovon die meisten Eltern ein Lied singen können.

Wie hältst du es mit dem schreienden Baby?

Erziehungsfragen handeln immer Fragen des Zusammenlebens und des Miteinanders ab. In welcher Welt wollen wir in Zukunft leben? Welche Werte und Prinzipien sind uns wichtig? Der Sprachforscher George Lakoff war einer der ersten, der den Zusammenhang zwischen Erziehung und politischer Einstellung als Forschungsfeld eröffnete. Eine Frage teilt die Erziehungslager der konservativ-strengen  und der fürsorglich-mitfühlenden (Jung-)Eltern treffsicher: „Wenn ein Baby in der Nacht weint – würden Sie es hochnehmen und trösten? (mehr dazu auch im Buch von George Lakoff und Elisabeth Wehling)

Diese Überzeugungen sitzen tief in uns. Die TrösterInnen und Nicht-TrösterInnen haben beide die Überzeugung, dass durch die jeweilige Erziehungslinie ihre Kinder für die Welt gut vorbereitet werden. Soviel zur Sicht der Eltern, doch was brauchen Kinder?

Beziehungssicherheit als Schutz gegen Rechts

Der Kinderarzt Renz-Polster spricht sich anhand der Forschungsergebnisse für das Team Fürsorge aus. Denn Kinder, die in ihrer Kindheit positive Bindungen erfahren, müssen sich später nicht an politisch starke Führungspersönlichkeiten binden. Fürsorgliche und zugewandte Erziehungsstile ermöglichen diese positiven Bindungen leichter, denn sie setzen auf Empathie und Verständnis. Und Beziehungssicherheit schafft – vereinfacht gesagt –  weniger Angriffsfläche für autoritäre Orientierungen. Stabile Bindungen mit altersgerechten Freiräumen seien nach Renz-Polster der Idealzustand.

Was es aber auch braucht sind Eltern, die mit Zuversicht mit beiden Beinen in der Welt stehen, statt mit Furcht und Angst. Bindungen, Freiheit und Zuversicht, diese Kombination macht die besten Eltern, egal ob Team Fürsorge oder Team Strenge. Das beruhigt und tröstet jetzt sicher die Nicht-TrösterInnen.

Renz-Polster arbeitet sich Stück für Stück in Beziehungskonstellationen und politische Ausrichtungen vor, in dem er Ergebnisse der Bindungsforschung mit autoritären Erziehungsmustern in Zusammenhang stellt. So macht er plausibel wie Islamkritik, die Obsession für Waffen und Strafen, der Hass auf die Globalisierung, Neid auf Flüchtlinge und Identitätssuchen auf diesen Kindheitsunterbau andocken und dadurch den Rechtsruck fördern.

Auch wenn – allen Ratgebern zum Trotz – es den idealen Erziehungsstil für Eltern nicht gibt (genauso wenig wie es die idealen Eltern mitsamt ihren Kindern gibt) so bietet das Buch einen erstaunlichen und erschreckenden Einblick in Kinderzimmer. Gewalterfahrungen, Entmutigung, Demütigung, Zeitnot, Desinteresse, Bindungslosigkeit, das alles geht nicht spurenlos an Kindern vorüber. Es hat seine Folgen, die sich auch gesellschaftspolitisch im Rechtsruck wieder nachzeichnen lassen. Dadurch werden Erziehungsstile – die von der Politik auch entscheidend mitgeprägt werden –  hochpolitisch.

Zum Weiterlesen:

Renz-Polster, Herbert (2019): Erziehung prägt Gesinnung. Wie der weltweite Rechtsruck entstehen konnte – und wie wir ihn aufhalten können. München: Kösel Verlag.

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Anna Schopf

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