reflektive

Schwarzer Freitag für die prekär arbeitenden Menschen in Österreich

Vor dem 1. Mai, dem „internationalen Kampftag der Arbeiterklasse“ (und in Österreich seit 1938 „Tag der Arbeit“) werfen wir am Schwarzen Freitag, den 13. einen Blick auf die vielen, vielen atypisch Beschäftigten in Österreich: LeiharbeiterInnen, geringfügig Beschäftigte, Teilzeitbeschäftigte, Befristete und Freie DienstnehmerInnen: vereinigt euch!

Was ist „normal“ in der Arbeitswelt? In Zeiten, in denen disruptive Technologien – also Verfahren, die einen Bruch mit technischen und in der Folge auch gesellschaftlichen Normen zur Folge haben – als das Maß aller Dinge gelten und Aktienkurse die Beschäftigungsquote von Unternehmen bestimmen, nicht mehr viel, möchte man meinen. Die Norm ist jedoch immer noch, dass die Mehrheit der Menschen arbeiten muss, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sozialversichert zu sein und sich einen Pensionsanspruch für später zu erwirtschaften.

Als normales Arbeitsverhältnis verstehen ArbeitsexpertInnen eine unbefristete 8-Tagesstunden- und 40 Wochenstunden-Beschäftigung in einem Angestellten-Verhältnis, durch das die vollständige Integration in die sozialen Sicherungssysteme (Arbeitslosen- Kranken und Pensionsversicherung) hergestellt wird. Neuerdings wird auch die Familienförderung – Stichwort Familienbonus – von dem Erwerbseinkommen abgeleitet.

Das Normalarbeitsverhältnis ist also die Basis für ein gutes bzw. sozial abgesichertes Leben in Österreich. Doch wie die Zahlen zeigen, gibt es immer weniger ArbeitnehmerInnen in Österreich, die so ein Normalarbeitsverhältnis ihr eigen nennen können. Inzwischen sind rund ein Drittel aller Erwerbstätigen atypisch beschäftigt.

Wer arbeitet in Österreich atypisch?

Alles jenseits der Norm bedeutet „atypisch“ – also Teilzeitbeschäftigte, geringfügig Beschäftigte, Leih- und ZeitarbeiterInnen, freie DienstnehmerInnen und Befristete. Wenig überraschend sind Frauen bei den atypischen Beschäftigungsformen häufiger vertreten als Männer: Nahezu 53 Prozent der Frauen arbeiteten 2016 in der Hauptbeschäftigung atypisch, während es bei den Männern „nur“ 17 Prozent der Erwerbstätigen waren. (Quelle Statistik Austria).

Größter Brocken Teilzeitbeschäftigung

Der große geschlechtsspezifische Unterschied ergibt sich durch die besonders hohe Teilzeitquote von Frauen: Etwas mehr als ein Drittel der erwerbstätigen Frauen arbeiteten im Jahr 2015 „ausschließlich Teilzeit“. Bei Männern hingegen konnte diese Beschäftigungsform mit 5 Prozent als Ausnahme bezeichnet werden.

Bei den sonstigen atypischen Beschäftigungsformen – wie geringfügige Beschäftigung, Befristung, freier Dienstvertrag, Leih- bzw. Zeitarbeit – sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede deutlich geringer. 11 Prozent der erwerbstätigen Männer und 15 Prozent der erwerbstätigen Frauen waren auf diese Arten atypisch beschäftigt.

Innerhalb dieser Gruppe gibt es jedoch wieder gröbere geschlechtsspezifische Unterschiede: Der Frauenanteil bei den geringfügig Beschäftigten lag mit 7,6 Prozent (133.000 Arbeitnehmerinnen) etwa mehr als doppelt so hoch als der Männeranteil (3 Prozent, 56.000 Arbeitnehmer).

Leiharbeit: Männlich und migrantisch

Bei den Leih- und ZeitarbeiterInnen ist die Geschlechterverteilung genau umgekehrt: Knapp zwei Drittel der 78.000 Leiharbeitskräfte waren im Jahr 2015 Männer. Vor allem nicht-österreichische Arbeitskräfte riskieren in Österreich, als LeiharbeiterIn eingesetzt zu werden: 4,6 Prozent der migrantischen Arbeitskräfte waren doppelt so oft LeiharbeiterInnen als ÖsterreicherInnen (1,8 Prozent).

Scheinselbstständige

Nicht leicht zu beziffern sind die sogenannten „Scheinselbständigen“, zumal es über dieses Phänomen keine einheitliche Begriffsdefinition gibt. Historisch geht der Begriff auf die seit Beginn der 1990er Jahre wahrnehmbare Praxis von sehr großen Unternehmen zurück, Beschäftigte bestimmter Branchen zu kündigen und in der Folge als Selbständige zu beschäftigen. Betroffen hat dies überwiegend Bereiche wie die Buchhaltung, den IT-Bereich, aber etwa auch Werbung und Medienarbeit (etwa LayouterInnen, WerbegrafikerInnen, TextproduzentInnen, aber auch technische ZeichnerInnen).

Ein mögliches Kriterium zur Feststellung von Scheinselbständigkeit ist die Unternehmensabhängigkeit eines Selbstständigen. Wer zum Beispiel 70 Prozent (nach anderen Definitionen über mehrere Jahre hinweg mehr als 50 Prozent) der Einkünfte von einem Unternehmen oder einer Unternehmensgruppe erhält, muss als „an das Unternehmen angebunden“ betrachtet werden. Ein anderer Ansatz zur Definition von Scheinselbstständigkeit zielt auf den Zugriff auf Infrastruktur des Auftraggebers oder Elemente der Weisungsgebundenheit ab. Alles in allem gelten je nach Ansatz zwischen 70% und 90% der sogenannten Ein-Personen-Unternehmen als „Scheinselbständige“ und Beschäftigte, die um ihre Teilhabe am sozialen Sicherungssystem betrogen werden.

Normalarbeitsverhältnisse im Laufe des Jahrzehnts

Betrachten wir die Entwicklung im Zeitverlauf, so zeigt sich, dass die Normalarbeitsverhältnisse immer weiter zurückgehen: Von 2008 auf 2015 sank der Anteil der Normalarbeitsverhältnisse bei den Männern von 87,5 auf 84 Prozent. Bei den Frauen reduzierte sich der Teil von 53,7 auf 47,9 Prozent.

Einzig bei den Freien DienstnehmerInnen kann in dieser Zeit von einem Rückgang gesprochen werden. Die rund 40 Prozent weniger freie DienstnehmerInnen (sowohl bei Männern als auch bei Frauen) lassen sich auf die sozialrechtlichen Reformen im Jahr 2006 zurückführen (Regierung Gusenbauer I), in denen Unternehmen verpflichtet wurden, auch für freie DienstnehmerInnen Arbeitslosenversicherung und Insolvenzentgeldsicherung zu entrichten. Somit verlor diese Form der atypischen Beschäftigung ihren Sparanreiz für Unternehmen, was wesentlich zu ihrem Niedergang beitrug.

Gerade am Beispiel der Freien DienstnehmerInnen wird deutlich, welchen Spielraum die Politik prinzipiell bei der Gestaltung von Arbeitsverhältnissen hätte. Innerhalb von kürzester Zeit konnte im Jahr 2006 ein von Schwarz-Blau I verursachter Missstand bereinigt werden. Die Unternehmen haben es in den letzten Jahrzehnten geschafft, die Verantwortung für ein gutes, sozial abgesichertes Leben ihrer Angestellten nicht nur abzugeben, sondern sie auch ihren Angestellten – den Lohnabhängigen – umzuhängen. (red)

Hinweis:

Am Sonntag, den 15.4. findet vor dem Parlament am Ring ein solidarisches Frühlingspicknik gegen die Kürzungen der Regierung im Erwachsenenbildungsbereich (z.B. Deutsch als Fremdsprache TrainerInnen) statt. Weitere Informationen zur Protestveranstaltung gibt es hier.

 

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