Im Parlament von ÖVP und FPÖ vorgebrachte Argumente und Beispiele zum 12-Stunden-Arbeitstag haben etwas gemeinsam: Sie sind alle falsch oder irreführend. Oder erschreckend offenherzig.
„Es war ein sehr berühmter Mann, der einmal Folgendes gesagt hat“, erzählte Sozialministerin Hartinger-Klein den Nationalratsabgeordneten am Ende ihrer Rede: „Freiheit ist ein Luxus, den sich nicht jedermann leisten kann. Wissen Sie, wer das war? Sie sollten es eigentlich wissen. Es war Karl Marx. Und ich sage: Mit dieser Arbeitszeitflexibilisierung ab 1. September ist diese Freiheit für jeden Mann und jede Frau möglich.“
Das von Hartinger-Klein verwendete Zitat ist symptomatisch für die Debatte um den 12-Stunden-Arbeitstag. Es gibt keinen einzigen Hinweis, dass Marx dies jemals gesagt oder geschrieben hätte. Es ist nämlich von Otto von Bismarck, dem deutschen Reichskanzler, der eher nicht so viele politische Ideen mit Karl Marx teilte.
Offenkundig hat Frau Hartinger-Klein zur Vorbereitung ihrer Rede ein ins Konzept passendes Zitat im Internet gesucht. Die Richtigkeit des gefundenen Zitats überprüft hat sie aber wohl nicht. Schon auf der ersten Google-Seite hätte ihr auffallen müssen, dass dieses Zitat nicht von Karl Marx ist.
Aber Frau Hartinger scheint nicht die Einzige zu sein, die bereit ist, haarsträubende Dinge einfach zu behaupten in der Hoffnung, dass es niemandem auffällt.
Die folgenden Zitate stammen alle aus Reden von ÖVP- und FPÖ-Abgeordneten der Nationalratssitzung vom 6. Juli 2018. Wir haben sie herausgesucht und einem Realitätscheck unterzogen. Das Ergebnis ist fast schon beängstigend.
Die zentralen Erzählungen
Der Erstredner der FPÖ, Klubobmann Walter Rosenkranz, versucht in seiner Wortmeldung einen Spin zu setzen, der sich durch die gesamte Sitzung zieht: Die SPÖ sei ja genaugenommen selbst für den 12-Stunden-Arbeitstag und bekämpfe diesen ausschließlich, weil sie beleidigt sei. Außerdem ändere sich ja fast nichts. Und die SPÖ würde Greuelpropaganda verbreiten.
„Im 21. Jahrhundert hat man in der Arbeitswelt verschiedene andere Sorgen und Probleme, und in dieser modernen Arbeitswelt ruft man nach etwas quer durch alle Parteien, vom Plan A über die NEOS, über die Regierungsparteien: Alle möchten Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt.“
Die Erzählung, dass alle Parteien ohnehin dasselbe wollten, geht an der Realität vorbei: Es gibt – und das streitet niemand ab – bereits jetzt in verschiedenen Berufen und Betrieben 12-Stunden-Tage. Die entscheidende Frage ist, unter welchen Bedingungen es sie gibt. Fast alle Regelungen zu 12-Stundendiensten, die es derzeit gibt, sehen verpflichtende verlängerte Ruhezeiten in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu den geleisteten Diensten vor. Zahlreiche Betriebsvereinbarungen sehen außerdem vor, dass jeweils die 11. und 12. Stunde mit einem Zuschlag zu bezahlen sind und legen den Rahmen fest, innerhalb dem die Konsumation von Mehr- und Überstunden von den MitarbeiterInnen wählbar ist oder fixieren sogar ganz konkrete, planbare Freizeitphasen.
Das war deshalb möglich, weil es bisher ohne Zustimmung des Betriebsrates nicht möglich war, derartige Modelle zu etablieren. Der Betriebsrat – und falls es keinen gab, einE ArbeitsmedizinerIn – konnte also auf Grund seiner gesetzlich starken Position sicherstellen, dass entsprechende Ausgleichs- und Ruhezeiten garantiert sind. Darüber hinaus gab es eine wöchentliche Arbeitszeitobergrenze von 50 Stunden.
Diese beiden Schutzelemente gibt es nun nicht mehr.
Es wollen also nicht alle dasselbe: ÖVP und FPÖ haben mit ihren Stimmen alle Schutzelemente für ArbeitnehmerInnen aus dem Gesetz gestrichen, die Gewerkschaft (und die SPÖ) treten für eine Ausweitung/Beibehaltung der Schutzmaßnahmen ein.
„Es bleibt der 8-Stunden-Tag, es bleibt die 40-Stunden-Woche, es bleiben die Überstundenzuschläge, die elfte und zwölfte Überstunde werden nur freiwillig geleistet.“
Das ist irreführend. Der 8-Stunden-Tag und die 40-Stunden-Woche stehen zwar weiterhin im Gesetz, verkommen aber zunehmend zu einer Rechengröße, an der sich der Stundenlohn für Mehrarbeit errechnet. In Zukunft kann sich niemand mehr darauf berufen, dass der Arbeitstag laut Gesetz nur acht Stunden lang sei. Er ist es nicht, denn er kann genauso gut zehn Stunden lang sein. Strittig ist allenfalls, was wirklich als Überstunde zählt. Da schafft das neue Gesetz Rechtsunsicherheit.
Auch die Überstundenzuschläge stehen weiterhin im Gesetz, aber die Definition des Wortes Überstunde wird quasi neu definiert.In der Praxis werden nämlich nur mehr jene Stunden als Überstunden gelten, die vom Arbeitgeber konkret angeordnet wurden.
Die Sache mit der Freiwilligkeit ist eher ein Schmäh: Zwar kann tatsächlich niemand gezwungen werden, eine elfte oder zwölfte Stunde pro Tag zu arbeiten, aber es kann auch kein Dienstgeber daran gehindert werden, sich nur ArbeitnehmerInnen zu suchen, die dazu bereit sind bzw. sich durch Kündigung von jenen zu trennen, die nicht dazu bereit sind.
„Die Kollektivverträge bleiben. Die Betriebsvereinbarungen bleiben.“
Es stimmt, dass das Gesetz nicht unmittelbar in Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen eingreift, aber das ist auch nicht notwendig. Kollektivverträge werden regelmäßig – vielfach jährlich – neu verhandelt. Und auch Betriebsvereinbarungen werden regelmäßig neu ausverhandelt. Bisher war deren Zustandekommen an bestimmte gesetzliche Regelungen gebunden, eben die niedrigere Höchstarbeitszeit und die Zustimmung von Betriebsräten. Das fällt weg. In Zukunft können also DienstgeberInnen anders in Verhandlungen gehen, weil eine Nichteinigung bei Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen ihnen zusätzlichen Handlungsspielraum verschafft, den sie bisher nicht hatten. Sie können Einzelvereinbarungen mit Beschäftigungen treffen und Sie haben bessere Chancen, im Konfliktfall ihnen genehme Arbeitszeiten vor Gericht durchsetzen zu können, weil die Schranken für die Arbeitszeiten deutlich aufgeweicht wurden. Es bedarf also keines Eingriffs in bestehende Vereinbarungen. Die Vereinbarungen und Kollektivverträge werden sich auf Grund der verstärkten Verhandlungsmacht der DienstgeberInnen von selbst verändern. Mittelfristig hat die neue Rechtslage also erhebliche Auswirkungen auf Kollektivverträge und Betriebsvereinabrungen. Sie werden sich definitiv verändern.
„Bei der Straßenmeisterei Kärnten im roten Bundesland Kärnten will man jetzt den 12-Stunden-Tag einführen, damit man die Viertagewoche machen kann, und wenn das Projekt so funktioniert, dann will man es für die gesamten Straßenmeistereien machen. Ist das so schlecht?“
Das ist – wie im Fall von Zitat 1 – die falsche Geschichte. Kritisiert wird nicht die generelle Möglichkeit, bis zu zwölf Stunden zu arbeiten, sondern die Rahmenbedingungen, unter denen das passiert. Es geht eben um Ruhepausen, die individuelle Möglichkeit der Beschäftigten, zu entscheiden, wann sie sich freie Tage nehmen usw.. Vor allem aber: Die Tatsache, dass die Straßenmeisterei Kärnten bereits ohne Gesetz ein derartiges Modell ausarbeitet, zeigt ja, dass die Gesetzesänderung dazu nicht nötig war. Bei der Gesetzesänderung muss es also um etwas anderes gehen.
„Ich habe von Betriebsversammlungen gehört, bei denen sogar die dortigen Betriebsräte gemeint haben, es würden sogar das 13. und 14. Gehalt angegriffen werden. Da sieht man, auf welchem Niveau dort Angst-und Panikmache und Verunsicherung stattfinden, und diese Verunsicherung wollen wir einfach stoppen!“
Wir wissen selbstverständlich nicht, ob das tatsächlich auf Betriebsversammlungen gesagt wurde, aber wenn es gesagt wurde, ist es nicht völlig falsch. Mit dem Gesetz wird nämlich in der Konsequenz auch neu geregelt, was eine Überstunde ist. Mit der neuen Macht der DienstgeberInnen können diese betriebsinterne Regelungen durchsetzen, mit der fast alle Stunden bis zur zehnten Arbeitsstunde zuschlagsfrei sind. Unbedingt Zuschläge sind nur mehr zu bezahlen, wenn Überstunden angeordnet werden. Das entspricht aber so gut wie nie der betrieblichen Realität. Damit fallen auch Zuschläge weg, die sich in den meisten Jobs erhöhend auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld ausgewirken.
Noch viel bedeutender ist die Tatsache, dass Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht gesetzlich, sondern in Kollektivverträgen geregelt sind. Werden Kollektivverträge von einem der Sozialpartner (in der Regel von der Arbeitgeberseite) aufgekündigt, , so kann tatsächlich der Fall eintreten, dass neue MitarbeiterInnen kein Urlaubs- und Weihnachtsgeld mehr erhalten. Auf diese Weise gibt es ein großes Druckpotential gegenüber der Gewerkschaft auch in den KV-Verhandlungen, die großteils im Herbst starten.
Ähnlich wie Walter Rosenkranz legt auch ÖVP-Klubobmann August Wöginger seine Rede an:
„Es gibt keinen generellen 12-Stunden-Tag! Es gibt keine generelle 60-Stunden-Woche! Und wissen Sie, was der Beweis dafür ist? Es hat auch jetzt keinen 10-Stunden-Tag generell gegeben und auch keine 50-Stunden-Woche generell.“
Das Problem an dieser Aussage ist, dass gar niemand von den KritikerInnen behauptet hat, es würde zukünftig einen generellen 12- Stunden-Tag und eine generelle 60-Stunden-Woche geben. Diese Konstruktion (nämlich dass es gesagt worden sei) wurde von Wirtschaftskammer und ÖVP/FPÖ in die Welt gesetzt, um sie widerlegen zu können. Zu denken gibt allerdings der Verweis auf die gegenwärtig nicht umgesetzte 50-Stunden-Woche schon. Denn die Schaffung von Gleitzeitmodellen hat die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten in Österreich schon sehr deutlich erhöht. Durchschnittlich arbeiteten sie im Jahr 2017 42,7 Stunden pro Woche (siehe Eurostat). In der letzten Hochkonjunkturphase (2007/2008) lag dieser Wert sogar bei über 44 Wochenstunden. Es gibt also gute Gründe davon auszugehen, dass die geplante Veränderung der Höchstarbeitszeit eine weitere Erhöhung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit bringen wird.
„Es kann nicht sein, dass es immer nur gute Gesetze und gute Maßnahmen sind, wenn die Sozialdemokraten mit am Tisch sitzen, und kaum sind sie nicht mehr mit dabei, dann sind die Gesetze alle nicht gut und alle schlecht.“
Dieser Versuch, die Debatte auf eine parteipolitische Ebene zu senken, ist lächerlich. Es geht nicht darum, ob die SPÖ bei der Gesetzwerdung dabei ist, oder nicht. Es geht darum, ob BetriebsrätInnen und KollektivvertragsverhandlerInnen in den Verhandlungen zum Schutz der Beschäftigten eine substanzielle Rolle spielen können. Deren Position wird aber deutlich verschlechtert. Und zudem gibt es in den Gewerkschaften nicht nur die FSG-Fraktion, sondern viele andere Gruppierungen.
„Wir stehen zur Freiwilligkeit, und die verankern wir auch im Gesetz!“
Die angebliche Verankerung der Freiwilligkeit im Gesetz wird nicht nur von KritikerInnen nicht ernst genommen, sie nimmt sich selbst nicht ernst.
Der entsprechende Passus im Gesetzesantrag lautet:
(6) Es steht den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern frei, Überstunden nach § 7 und § 8 Abs. 1 und 2 ohne Angabe von Gründen abzulehnen, wenn durch diese Überstunden die Tagesarbeitszeit von zehn Stunden oder die Wochenarbeitszeit von 50 Stunden überschritten wird. Sie dürfen deswegen nicht benachteiligt werden, insbesondere hinsichtlich des Entgelts, der Aufstiegsmöglichkeiten und der Versetzung. Werden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer deswegen gekündigt, können sie die Kündigung innerhalb einer Frist von zwei Wochen bei Gericht anfechten. § 105 Abs. 5 des Arbeitsverfassungsgesetzes (ArbVG), BGB\. Nr. 22/ 1974 gilt sinngemäß.”
Der Text sieht als einzige effektive Schutzmaßnahme also die Klage vor, wenn die betreffende Person bereits gekündigt wurde. In der Praxis ist es also mit der Garantie der Freiwilligkeit nicht sehr weit her.
„Ordnet die Arbeitgeberin bzw. der Arbeitgeber Arbeitsstunden an, die über die Normalarbeitszeit gemäß §3 Abs. 1 hinausgehen, gelten diese als Überstunden. Und sie sind überstundenzuschlagspflichtig! Das ändern wir nicht und es bleibt so, wie es auch jetzt war.“
Die Aussage ist irreführend. Der Paragraf braucht gar nicht geändert zu werden, da die faktische Definition von Überstunden sich verändert, sobald sich die neuen gesetzlichen Möglichkeiten etabliert haben.
„Und überhaupt das Überdrüber ist der Rechtsanspruch, der den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eingeräumt wird, zu bestimmen, ob sie die Mehrleistung mit Geld oder in Freizeit abgegolten haben wollen.“
Das ist ebenso irreführend. Es geht ja nicht vorwiegend darum, ob die Mehrleistung in Geld oder als Zeitausgleich abgegolten wird, sondern vor allem um die Frage, ob es dafür Zuschläge gibt und ob die Beschäftigten bestimmen können, wann diese Abgeltung erfolgt. Erst nach Klärung dieser Frage wird es interessant, in welcher Form sie abgegolten werden.
Wenig Substantielles hatte – abgesehen vom bereits angeführten falschen Marx-Zitat – Sozialministerin Beate Hartinger-Klein zur Debatte beizutragen. Aber auch Sie hat versucht, ZuhörererInnen aufs Glatteis zu führen:
„Weiters soll beim Arbeitszeitmodell Gleitzeit eine Normalarbeitszeit von 12 Stunden nur möglich sein, wenn ein ganztägiger Zeitausgleich möglich ist, und zwar auch im Zusammenhang mit dem Wochenende.“
Das trifft leider nicht den wesentlichen Punkt: Die entscheidende Frage ist, wann der Zeitausgleich stattfindet und welche individuellen Möglichkeiten Beschäftigte haben, das selbständig zu bestimmen. Dazu steht im Gesetz gar nichts.
Erwähnenswert vielleicht auch noch eine Aussage des FPÖ-Abgeordneten Peter Wurm. Er behauptet nämlich wider aller Realität zum „Vorwurf, Überstundenzuschläge fallen weg: …Es gibt keine nicht ausbezahlten Überstunden.“ Tatsächlich wird dies jedoch regelmäßig von der Statistik Austria erhoben: Im Jahr 2017 mussten 45 Mio. Überstunden unbezahlt geleistet werden. Das ist fast jede fünfte geleistete Überstunden (hier auf Tabelle E24)
Die „Beispiele“ aus der „Praxis“
Besonders häufig brachten Abgeordnete der Regierungsparteien angebliche Beispiele betroffener Menschen, deren Leben durch die neue Regelung besser würde. Das Problem dabei: Kein einziges der gewählten Beispiele wäre in der bisherigen Gesetzeslage nicht machbar gewesen.
Abgeordneter Wolfgang Klinger (FPÖ) fragt etwa: „Wie stellen Sie sich vor, dass wir zum Beispiel unseren Betrieb in der Gastronomie, wo ich doch wirklich nicht sehr viel zu Hause bin, ordentlich aufrechterhalten können? Wir haben Sperrzeit von Sonntagmittag bis Mittwoch, und dann hat noch jede Mitarbeiterin einen Tag zusätzlich frei. Wir haben viele Teilzeitkräfte, und wir müssen versuchen, in diesen viereinhalb Tagen, wo jede Person auch noch einen Tag frei hat, die Lehrlingsproblematik und die Arbeitszeitproblematik zu bewältigen.“
Die Frage ist absurd und hat mit der beschlossenen Gesetzesänderung nichts zu tun. Ganz offenkundig konnte der Abgeordnete den Betrieb bereits bisher im Rahmen des bestehenden Gesetzes aufrechterhalten.
Claudia Plakolm (ÖVP) bringt drei Beispiele von spezifischen Arbeitszeitwünschen:
„Ein junger Elektromechaniker hat als geschickter Lehrling im Betrieb angefangen und wird deshalb gerne auf Montage geschickt. In drei Monaten wird er zum ersten Mal Vater. Wenn er auf Montage in Vorarlberg ist, möchte er lieber drei Tage intensiver und länger arbeiten, um dann einen Tag früher bei seiner Freundin – und bald auch bei seiner kleinen Familie – in Oberösterreich sein zu können.
Eine junge Softwareentwicklerin möchte aus dem Elternhaus ausziehen und sich eine Wohnung nehmen. Für die Einrichtung geht auf einen Schlag sehr viel Geld drauf, deswegen möchte sie Überstunden machen und Geld ansparen.
Ein Büroangestellter, der neben seinem Vollzeitjob Biologie studiert, möchte in den Ferien und in der Mitte des Semesters Überstunden aufbauen, um sich während der Prüfungsphasen oder für geblockte Kurse freinehmen zu können. Mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit würde diese Arbeitnehmer wesentlich unterstützen.“
Alle drei Beispiele sind bei beidseitigem Einverständnis bereits mit der bisherigen Rechtslage problemlos lösbar und begründen nicht die Notwendigkeit der Gesetzesänderung. Möglicherweise ohne es zu realisieren räumt die Abgeordnete das in ihrer Rede auch ein: „Vieles davon ist heute schon betriebliche Praxis. Man braucht nur in die großen Konzerne zu schauen – ÖBB, Voestalpine – , da gibt es bereits jetzt solche Betriebsvereinbarungen. Die flexibleren Arbeitszeiten, die wir heute beschließen, kommen vor allem den kleinen und mittleren Betrieben zugute. In kleineren Betrieben ist das Arbeitsklima wesentlich familiärer. Gerade in den KMUs werden die Mitarbeiter miteinbezogen.“
Zu erwähnen vergisst die Abgeordnete aber, dass der junge Mann aus Vorarlberg nach dem neuen Gesetz keine Möglichkeit hat, die von ihm gewünschte Zeiteinteilung auch nach der Geburt seines Kindes zu erzwingen; oder dass die angeblichen Überstunden der IT-Fachfrau mit dem neuen Gesetz gar keine Überstunden sein müssen (also nicht mit Zuschlägen versehen sein müssen); und schließlich, dass der Biologiestudent nicht erzwingen kann, zu bestimmten Zeiten, wenn er sie benötigt, mehr Freizeit zu haben.
Die Situation der drei angeführten Beschäftigten verbessert sich nicht durch die neue Gesetzesregelung. Tendenziell verschlechtert sie sich sogar, weil die Mehrarbeit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit Überstundenzuschlägen ausbezahlt wird, sofern die Betriebsführung dem nicht zustimmt. Mit Zustimmung der Arbeitgeber ginge das aber alles jetzt schon.
Warum dann das Ganze?
Je länger die Debatte dauert, desto eher kommen HinterbänklerInnen zu Wort, die sich mit der Einhaltung des beschönigenden Sprechtextes schwer tun und mehr oder minder einräumen, worum es bei der Gesetzesänderung geht: Um die Ausschaltung der Betriebsräte und die Beschränkung der Überstundenzuschläge.
Die Abgeordnete Michaela Schärtel von der FPÖ spricht etwa offen aus, dass es darum geht, Betriebsräte auszuschalten: „Die wesentlichste Verbesserung meiner Meinung ist, dass man jetzt nicht mehr an die Starrheit einer Betriebsvereinbarung gebunden ist, (…) sondern endlich auch Arbeitnehmer selbst entscheiden dürfen. Wenn du für deinen als Beispiel genannten Zimmerer eine Betriebsvereinbarung machst, dass er 12 Stunden am Dach stehen darf, dann kann man nicht konsequenzlos nach der 10. Stunde sagen, mir ist so heiß, jetzt gehe ich nach Hause und fahre mit dem Bus weg. Wenn du die Betriebsvereinbarung für 12 Stunden machst, dann pickt die, und der Einzelne kann gar nichts dagegen machen. Das muss man auch einmal erwähnt haben.“
Wobei dazu noch festzustellen ist: Selbstverständlich kann der im Beispiel genannte Zimmerer in Zukunft nicht einfach nach 10 Stunden den Arbeitsplatz verlassen, wenn er gerade keine Lust mehr hat. Er kann allenfalls bei der Planung der Arbeitszeiten sagen, dass er keine 11. und 12. Stunde arbeiten möchte. Wenn jedoch die 12 Stunden am Dach im Betrieb für diesen Tag bereits zwischen Dienstgeber und Dienstnehmer vereinbart sind (was logischerweise vor dem Arbeitstag erfolgt sein muss), muss er selbstverständlich bleiben und arbeiten. Ein unangekündigtes Verlassen des Arbeitsplatzes wäre in diesem Fall ein Grund für eine fristlose Entlassung. Und da würde auch die Freiwilligkeitsgarantie nichts daran ändern.
Die ÖVP-Abgeordnete Angelika Winzig räumt implizit auch ein, dass die Abschaffung der Überstundenzuschläge ein bewusstes Ziel der Gesetzesänderung ist, wenn sie meint: „Wir wissen, die ÖBB haben einen 12-Stunden-Tag, aber permanent! (…) die Klein- und Mittelbetriebe haben diese Möglichkeiten nicht. Sie sind in einem starren Arbeitszeitkorsett gefangen. Ich habe eher den Eindruck, dass dies die Strafe für die Klein- und Mittelbetriebe ist, weil wir eben keinen Betriebsrat haben, dass Sie uns die flexiblen Arbeitszeiten nicht zugestehen. (…) Darüber hinaus müssen wir bei jedem Auftrag durchrechnen: Können wir uns Überstunden leisten? Macht es Sinn? Oder ist es günstiger, wenn wir schauen, dass wir neue Mitarbeiter zusätzlich einstellen? Überstunden rechnen sich im Klein- und Mittelbereich eben nur in Sondersituationen.“
Info Links zu 12-Stunden-Arbeitstag:
reflektive zum Initiativantrag
reflektive zur Nationalratssondersitzung zum 12-Stundentag am 29. Juni 2018
A&W-Blog zum Abänderungsantrag
Website Nein-zum-12-Stundentag mit vielen Materialien
ÖVP-FPÖ-Initiativantrag auf der Website des Parlaments
ÖVP-FPÖ-Abänderungsantrag auf der Seite des Parlaments
12-Stunden-Faktencheck auf kontrast.at