Wenn sich Politik mit sich selbst beschäftigt, dann hat dies immer einen Preis: Verlust an Glaubwürdigkeit, steigendes Desinteresse bei den WählerInnen und Lähmung der eigentlichen Debatte. Der EU-Wahlkampf beginnt schleppend. Im Fokus stehen einerseits der routinisierte Skandal-, -Empörungs und Opferrollenmodus rund um die FPÖ-„Einzelfälle“ und anderseits ein Art politisches Melroseplace „Wer kann mit wem?“. Doch womit können die WählerInnen?
Ausgrenzung oder erdrückende Umarmung: innerhalb und zwischen den Parteien
So sehr es der SPÖ zu wünschen wäre, so nüchtern ist zu beobachten, dass sie ihre Rolle als größte Oppositionspartei nicht einlöst. Die Aussage des EU-Spitzenkandidaten Andreas Schieder, dass er für keinerlei Koalition mit der FPÖ zu haben sei, egal auf welcher Ebene, ist angesichts der zwei realpolitischen Koalitionen im Burgenland und in der Stadt Linz de facto ein friendly fire auf die eigene Partei (Bund gegen Burgenland und Linz oder umgekehrt). Da bekommt der Begriff MitstreiterInnen eine neue Bedeutung. Der erst vor kurzem erfolgte Parteitagsbeschluss, der den Ausschluss einer Koalition mit der FPÖ durch einen vagen Wertekatalog ersetzte, lässt sich in der Öffentlichkeit nicht plausibel erklären und schon gar nicht als klare Linie gegenüber der FPÖ darstellen (siehe auch Kommentar von Sonja Ablinger im Standard). Dieser wunde Punkt wird folglich auch von Sebastian Kurz mit einiger Respektlosigkeit, aber mit offenkundiger Genugtuung ausgespielt (wie etwa in der letzten Sitzung des Bundesrates). Die Ausgrenzung der FPÖ hat immer zu den Kernmobilisierungsstrategien der SPÖ gehört, doch funktioniert sie noch? Und was hat sie im Europaparlaments-Wahlkampf für einen Sinn?
SPÖ, ÖVP und FPÖ: keine Geschichte ohne Vorgeschichte
In so gut wie jeder Plenardebatte wird deutlich, dass SPÖ und ÖVP gar nicht (mehr) miteinander können. Die Errungenschaften der letzten Regierungen werden weggewischt, aber auch der Tonfall und der Umgang miteinander ist vor allem seitens einiger ÖVP-Abgeordneten aggressiv und hasserfüllt, wie nie zuvor. Die SPÖ hat sich in eine moralisierende Argumentationsrolle hineinmanövriert und versucht, die Debatte mit sozialer Nächstenliebe und gekränkter Oberlehrer-Kritik zu bestreiten. Sie verliert sich dabei in emotionalen Wertungen, statt konkrete und machbare Alternativen und deren positive Wirkung darzustellen. Ihre oft griffigen Argumente gehen dabei unter und bleiben ungehört. Dass angesichts der orchestrierten und aalglatt agierenden Regierungs-PR die Oppositionsarbeit zäh und undankbar ist, ist als Erklärung zu wenig.
Die FPÖ kommt hingegen schon lange in ihrer Argumentation ohne Zuhilfenahme von Fakten aus. Nur fällt das in einen fast ausschließlich von Emotionen geprägten Diskurs kaum jemanden auf. Und es schadet der FPÖ – ganz nach dem Motto “never change a winning feeling” – auch nicht. Denn der dominante nationalistische „wir gegen sie“-Debattenstrang hat sich aufgrund der jahrzehntelangen Oppositions- und Wahlkampfarbeit gut in das politische Gedächtnis gefräst. Die türkise ÖVP hat das, seit Kurz informell und formell Parteiobmann ist, für sich genutzt. Seit Ende 2017 erlaubt die ÖVP der FPÖ, in ihren Themenbereichen Punkte zu sammeln und hat dabei sogar viele Schnittmengen (wie z.B. die Indexierung der Familienbeihilfe) gefunden: Die großen Kuchenstücke (Umbildung und Machausbau in den Sozialversicherungen, Steuerpolitik für Wohlhabende, Kürzung beim AMS-Budget) behält die ÖVP aber für sich.
Wenn MitdiskutantInnen zu ZuschauerInnen werden
Rechtspopulistische politische Strömungen wie die FPÖ, die AFD oder die Lega Nord vergiften durch ihre Art der Debattenteilnahme jede konstruktive Diskussion. Über kurz oder lang geht es nicht mehr um das eigentliche Thema, sondern Harald Vilimsky, Marie Le Pen, Beatrix von Storch von der AFP und ihre Gleichgesinnten thematisieren sich und ihre „Unverstandenheit“ zu einem dramatischen Medienthrill. Der Auflage und der Quote von Medien schadet es nicht. Gut zu beobachten ist dies, neben Plenardebatten, auch bei TV-Diskussionen, in denen selbst MitdiskutantInnen zu ZuschauerInnen werden . Wenn diese doch einmal kurz zu Wort gelangen, dann ist der Weg zurück zum Thema und zu ihrer Argumentationslinie meist für ein Kurzstatement zu beschwerlich und zu lange. Zurückbleiben ermüdete ZuschauerInnen und eine erlahmende und lähmende politische Debatte.
Durch die übermächtige Social Media-Kommunikation sind wir überdessen nur mehr gewohnt, in die eigenen Blasen zu kommunizieren. Auseinandersetzung mit den Argumenten der anderen bleibt dabei ungeübt und auch zu kompliziert. Schade ist nur , dass PolitikerInnen dies auch nicht mehr können. Nicht innerhalb ihrer Parteien, und auch nicht zwischen den ParteivertreterInnen. Die politische Allianzenbildung einer Johanna Dohnal, die weit über SPÖ-Kernbereiche hinaus Menschen für Frauenpolitik (z.B. Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen) gewinnen konnte – und zugegebenerweise auch musste – ist heute nicht einmal mehr in Ansetzen zu finden.
Macht der ermüdenden Gewohnheit aufbrechen
Drei Wochen vor der Wahl des Europaparlaments geht es also um Innenpolitik (FPÖ und ORF) und um Minipolitik innerhalb der Parteien (SPÖ), kaum jedoch um Europathemen. Davon kann bis jetzt nur die ÖVP profitieren. Für kleinere Parteien bleibt dabei nicht viel medialer Raum.
Was wäre so schlecht daran, wenn Andreas Schieder und seine SPÖ-MitstreiterInnen argumentierten, dass sie mit der ÖVP unter Nennung der Gründe nicht mehr können, trotzdem der politische Macht- und Gestaltungswille auch nach Wählervotum so groß und ungebrochen ist und sie eine demokratische realpolitische Grundhaltung einnehmen? Und was wäre so schlecht, wenn sich JournalistInnen inhaltlich so sattelfest vorbereiteten, dass sie floskelartige, eindeutig falschinformierende, fremdenfeindliche oder nur über moral-argumentierende Wortmeldungen auseinander nehmen? Das alles in Ruhe und Sachlichkeit und ohne zusammenhangslose Themenmedleys und Wortunterbrechungen von allen Seiten? WählerInnen müssten sich damit auseinandersetzen, welche Argumente sie am ehesten überzeugen und warum. Kein Thrill, mit großer Wahrscheinlichkeit auch keine Komfortzone. Aber alles noch besser vor der Wahl, als nach der Wahl.
Zum Weiterlesen:
Dialog(ik) außerhalb der Komfortzone