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unÜBAlegt! Auffangnetz für Jugendliche in Gefahr

Eine Protestkundgebung der Gewerkschaftsjugend machte gestern mobil: Die Kürzung der Ausbildungsbeihilfe für ältere ÜBA-Lehrlinge stellt nur den Beginn von Einsparungen dar. Das Prinzip der überbetrieblichen Lehrausbildung, als Auffangnetz  für Jugendliche mit Anlaufschwierigkeiten, wird zu Gunsten eines Anreizsystems hin zu immer weniger betrieblichen Lehrstellen auf Spiel gesetzt. Dabei wird auch vergessen, dass die überbetriebliche Lehrausbildung der Europäische Jugendgarantie als eine der Vorlagen diente.

Was ist die ÜBA?

Die Ausbildung von Lehrlingen hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert: Lehrbetriebe lassen aus, das Bildungssystem sortiert Jugendliche mit Lern- und Sprachrucksäcken oftmals aus und die Arbeitswelt bietet diesen jungen Menschen abseits von Hilfsarbeiterjobs keine beruflichen Perspektiven. Seit 2008 gibt es als Auffangnetz die überbetriebliche Lehrausbildung in der heutigen Form. Damals wurde dieses Ausbildungsformat  unter dem Schlagwort „Ausbildungsgarantie“ vom damaligen Sozialminister Hundstorfer initiiert. Von der Zahl der Auszubildenden her ist die ÜBA ein Erfolgsmodell: 2017 nahmen knapp 10.000 Jugendliche diese Ausbildungsmöglichkeit in Anspruch, sie zählen als Lehrlinge nach dem ASVG. In der Zeit vor der ÜBA gab es für diese Jugendliche die sogenannten „JASG-Lehrgänge“, die von Trägern durchgeführt und von den regionalen AMS-Stellen gefördert wurden (z.B. Niederösterreich) Diese waren aber als kürzere Lehrgänge ohne Ausbildungsabschluss konzipiert.

Die ÜBAs kümmern sich um Jugendliche, die keine Lehrstelle gefunden haben und bieten die Möglichkeit, in 30 ausgewählten Lehrberufen abseits der klassischen Lehrbetriebe eine Lehrausbildung zu absolvieren (§ 38d, Arbeitsmarktservicegesetz). Das AMS übernimmt die Koordination mit den Trägerorganisationen. Die Berufsschule besuchen die AusbildungsteilnehmerInnen genauso wie andere Lehrlinge, nur der Praxisteil wird in einer Ausbildungseinrichtung in Kooperation mit einer betrieblichen Lehrwerkstatt ermöglicht (ÜBA 1 Form ist das Lehrgangsmodell) oder die gesamte Ausbildung findet im Rahmen eines gestückelten Ausbildungsvertrag statt, wo Lehrlinge zwischen verschiedenen Praxisbetrieben während der gesamten Lehrzeit wechseln (ÜBA 2 Form Praxisbetriebe). In beiden ÜBA-Formen ist das übergeordnete Ziel die Übernahme in eine reguläre Lehrausbildung bei einem Lehrbetrieb zu schaffen (S. 94, BMASK). Betriebe bekommen dafür eine extra Förderung, wenn sie ÜBA-Lehrlinge übernehmen. ÜBA-Lehrlinge bekommen keine Lehrlingsentschädigung, sondern vom AMS eine Ausbildungsbeihilfe in Höhe der Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhaltes (DLU) für Jugendliche vor Vollendung des 18. Lebensjahres (entspricht 325,80 netto im Monat). Ab dem dritten Lehrjahr erhalten alle LehrgangsteilnehmerInnen eine Ausbildungsbeihilfe in Höhe der DLU für erwachsene TeilnehmerInnen (das entspricht 753 Euro). Seit Jahren ist es für ÜBA-Lehrlinge in Praxisbetrieben schwer nachzuvollziehen, warum sie wesentlich weniger verdienen als ihre regulären Lehrlingskollegen. Dieses Unverständnis wird sich für ältere ÜBA-TeilnehmerInnen ab Herbst noch verstärken.

Welche Rolle erfüllt die ÜBA in der Ausbildungspflicht?

Die Garantielogik in der überbetrieblichen Ausbildung war zehn Jahre Bestandteil der aktiven Arbeitsmarktpolitik für Jugendliche, allerdings gab es kein Gesamtkonzept für die Ausbildungsjahre zwischen 15 und 18 Jahren. Pro Schuljahr gingen mehr als achttausend Jugendliche dem Ausbildungs-und weiterführenden Bildungssystem verloren. Das waren angesichts des hohen Arbeitslosigkeitssrisiko durch den alleinigen Pflichtschulabschluss zu viele.

Ein Gesamtkonzept wurde schließlich 2016 mit dem Ausbildungspflichtgesetz beschlossen. Dabei wurden bestehende und bewährte Orientierungsschienen wie das Jugendcoaching oder die Produktionsschulen in ein von Koordinierungsstellen gesteuertes Zusammenspiel  übergeführt. Seit Juli 2017 gilt für alle Jugendlichen, die die Pflichtschule im Schuljahr 2016/2017 bzw. danach abschließen die Ausbildungsplicht. Die Sanktionen treten mit 1. Juli 2018 in Kraft und werden mittels Verwaltungsstrafen an Eltern umgesetzt, wenn sie der Meldepflicht nicht nachkommen.

Die Ausbildungspflicht bis 18 Jahren gilt als erfüllt, wenn ein weiterer Schulbesuch, eine Lehre oder ÜBA, eine Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und sogar (auf Druck der ÖVP) eine Beschäftigung, die mit dem Perspektiven- oder Betreuungsplan in Einklang steht, nachgegangen wird. Angesichts der Zielgruppe der schulgefrusteten und mit Lern- und Sprachrucksäcken reisenden Jugendlichen durchs Pflichtschulsystem lässt sich leicht erkennen, dass oft weder ein weiterführender Schulbesuch noch eine Lehre auf dem immer knapper werdenden Lehrstellenmarkt möglich erscheint. Auch hat die überbetriebliche Lehrausbildung rein von den bisherigen Plätzen die größten Kapazitäten und Flexibilität ermöglicht. Das Auffangnetz ÜBA ist somit fixer Bestandteil und Baustein der Ausbildungspflicht bis 18 Jahre. Ausbildungen in dieser Zielgruppe werden oft mit Zeitverzögerung begonnen, daher sind die TeilnehmerInnen oft auch über 18 Jahre alt, wenn sie ihre Ausbildung abschließen.

Was hat der AMS Verwaltungsrat im Mai 2018 beschlossen?

Der Verwaltungsrat hat vor kurzem mit den Stimmen der WirtschaftsvertreterInnen und der Regierung die Halbierung der Entschädigung für ältere Lehrlinge in überbetrieblicher Ausbildung  beschlossen. Ab September bekommen über 18-Jährige, die eine ÜBA-Lehre absolvieren, nur mehr 325 Euro im Monat Ausbildungsbeihilfe.  Betroffen von der Maßnahme, die laut AMS 17 Millionen Euro an Einsparungen bringt, sind 3.600 Personen. Also nicht viel Geld, für eine überschaubare und sich am Ausbildungsweg befindende Zielgruppe. Nach dem Zurückfahren der Mittel für das Integrationsjahr wird wieder bei der jungen Zielgruppe für Qualifikations- und Ausbildungsmaßnahmen gespart. Gerade junge Erwachsene können sich mit 325 Euro finanziell nicht über Wasser halten und riskieren, durch die Aufnahme zusätzlicher Hilfsjobs einen Ausbildungsabbruch. Die Ausbildungspflicht, die ja nur bis 18 Jahren gilt, greift dann auch nicht mehr. Der Zugang zur Mindestsicherung ist in den verschiedenen Bundesländern für junge Menschen in Ausbildung unterschiedlich geregelt und an Voraussetzungen geknüpft. Zudem sind es Kosten, die die Länder aufbringen, während die ÜBA Ausbildungsbeihilfe vom Bund über das AMS ausgeschüttet wird.

Regierungspläne als Umsetzungsschablone

Schon im Regierungsprogramm im Dezember 2017 setzte die Regierung auf die „Reduktion überbetrieblicher Ausbildungseinrichtungen auf das zwingend notwendige  Ausmaß und Verkürzung des Verbleibs in den Einrichtungen (insbesondere in den dreijährigen Einrichtungen, möglichst nach einem Jahr Wechsel in den ersten Arbeitsmarkt)  durch verstärktes Vermitteln auf betriebliche Lehrstellen (Mittelumschichtung von über- betrieblichen Ausbildungseinrichtungen zur Ausbildung im Betrieb) und finanzielle Unterstützung des Betriebes“. Die ÜBAs sollen demnach keine „Konkurrenz“ zu den Lehrbetrieben und deren Förderungen darstellen. Auch die nächste Passage stellt eine Bezugnahme zu den jetzt beschlossenen Änderungen her „Beihilfenbezug während überbetrieblicher Ausbildung bzw. vorgelagerter Einrichtungen wie etwa Produktionsschule so ausgestalten, dass ein klarer Anreiz zur Aufnahme einer betrieblichen Lehre besteht“ (beide Stellen S. 145, Regierungsprogramm). 325 Euro sind ein klarer Anreiz für AusbildungsteilnehmerInnen ihre Ausbildung in einer ÜBA zu hinterfragen. Es ist zu erwarten, dass Ausbildungsabbrüche sich verstärken mit negativen Folgen für die Lehrlinge, aber auch für die Volkswirtschaft. Diese  Art der „Aktivierung“ führt in die Perspektivenlosigkeit. Und das ist genau das Gegenteil eines Auffangnetzes.

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Anna Schopf

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