reflektive

Wiederholte Angst vor dem Anpatzen

Sebastian Kurz verbringt den Wahlkampfsommer fern den Einrichtungen kritischer Öffentlichkeit. Das Hohe Haus gilt ihm als Hort des Hochverrats. Er will formlos nah bei ‘den Menschen’ sein: ein Altkanzler zum Anfassen – und zum ja nicht Anpatzen. Dieses Schlüsselkonzept seiner Machtdurchsetzung in Verbindung mit Jubeltagen der Geschichte behandelt dieser diskursanalytisch-polemische Essay – von Drehli Robnik.

Wiederholung ist, wenn etwas mehrmals passiert. Vielleicht wiederholt sich demnächst die Regierungserklärung eines Bundeskanzlers Kurz – circa zum zweiten Jahrestag des Amtsantritts des Kabinetts Kurz-Strache. Das war Ende 2017. Blicken wir also kurz auf bestimmte Formulierungen in der ersten und der (vorerst) letzten Rede zurück, die Kurz als Regierungschef im Nationalrat hielt. Zunächst die erste, in der er en passant eine Art Komplementär-Konzept zum notorischen Anpatzen ins Spiel brachte, nämlich das Universal-Jubiläum. Am 20. Dezember 2017 verkündete der Kanzler, was sein wird. Er gab einen Ausblick aufs anstehende Gedenkjahr, indem er sagte, “dass 2018 das bedeutsame Jahr sein wird, in dem wir viele Jubiläen gemeinsam feiern werden und wo wir auf viele Jubiläen gemeinsam auch in Trauer zurückblicken werden.” Mit den zwei Arten von Jubiläen (zumal “vielen”) – denen zum Feiern, und denen zum in Trauer auf sie Zurückblicken (etwas verwirrend formuliert) – meinte er, so sein nächster Satz, das hundertjährige Bestehen der Republik und anderseits die “beschämenden und traurigen Ereignisse rund um den März 1938”.

Was, bitt´schön, macht den Rückblick auf Ereignisse vom März 1938 zu einem “Jubiläum”, also einem Jubel-Anlass, wie Kurz das nennt? Es gibt Leute, die sprechen beim 12. März schlicht von einem Jahrestag. Es geht da aber nicht um ‘richtige’ Wortwahl. Und schon gar nicht soll unterstellt sein, dass die Tage, in denen Hitlers Kanzlerschaft sich unter allgemeinem Jubel erstmals auf Österreich erstreckte, für Kurz der Gegenstand eines Jubiläums seien (1). Vielmehr ist Kurzens Nomenklatur bezeichnend für sein Verständnis von Geschichte im Allgemeinen: Er braucht und kennt sie schlicht nicht, es sei denn als Jubel-Zeremoniell. Womit der ewigjunge Brachial-Erneuerer von Partei, Staat und Hochleistungsgesellschaft nichts anfängt, ist Geschichte; dies im Sinn nicht von Jahreszahlen-Wissen, sondern von: anerkennen, dass Gesellschaften sich in der Zeit verändern, konflikthaft, oft gewalthaft, und dass Gewalt-Erfahrungen wie die im Nationalsozialismus untrennbar sind von ihrem politischen Nachlasten. Das aber entzieht sich der Message Control, ist also zu neutralisieren.

Wer würde einen Gesalbten anpatzen?

Allerdings: Damit, dass er einen NS-bezogenen Jahrestag – einen achtzigsten zumal – mit Jubel-Ereignissen überlagert, steht Kurz in der Volkspartei nicht allein da. Auf dem Weg zur Kabinett-Kurz-Wiederholung liegt eine Wahl, und die hätte die Volkspartei gern möglichst früh gehabt (solang Kurz noch so jung ist…), vielleicht am liebsten am 1. September 2019. (2) Aber war da, ist da nicht ein Jubiläum? Irgendwas mit achtzig? Dieser Tag, an dem die ÖVP gern in aller Frühe zurückgewählt hätte, ist der achtzigste Jahrestag des Beginns des nazideutschen Überfalls auf Polen. Der Tag, an dem der Rest des Kontinents des Beginns des Zweiten Weltkriegs in Europa 1939 gedenkt, gilt der Altkanzlerpartei als ein wünschenswerter Wahltermin. Denn der 8. oder 15. September gehen nicht – da geht der Bauernbund Niederösterreich auf Mariazell-Wallfahrt, bzw. begeht die steirische ÖVP ein Trachtenfest. Jedem Land und Bund sein Jubelgrund.

Das so darzustellen, ist natürlich gehässig. Aber auch das – dass man der ÖVP so kommen würde –, wusste der Kanzler, als er es noch kurz war. An jenem Misstrauensmontag des 27. Mai verkündete er, was sein wird. In der Wahlkampfauftaktrede vor seiner Parteiakademie, gleich nach dem Versagen (dem des Vertrauens, durch den Nationalrat), prophezeihte er: “Sie werden uns anpatzen!” Klang nach: Haltet die andere Backe hin. Der frischgebackene Altkanzler wiederholte damit, was er Stunden zuvor eingangs seiner letzten Kanzlerrede im Nationalrat – spiegelbildlich zur jubiläischen Antrittserklärung – gesagt hatte: “Ich werd daher auch nicht auf alle Unterstellungen und Anpatzversuche reagieren.” Und mit dem Anpatzen wiederholte er eine Zentralvokabel seiner Wahlkampf- und Regierungspropaganda.

Anpatzen ist ein spezifisches Wort. Unösterreichische Ohren, egal wie ab- oder anständig, hören da vermutlich ‘Anpassen’, denn das Wort ist nördlich von Nürnberg im Deutschen ungebräuchlich (und in Bayern gilt Obatzter als Käsespezialität). In der Bedeutung von ‘verleumden’ folgt das Anpatzen als Schlüsselwort dem ‘Vernadern’ als Schüsselwort der Schulterschluss-Rhetorik der Schwarz-Blau-Regierung anno 2000. Ist das Anpatzen ein Stück jener politischen ‘Kindersprache’, mit der die ÖVP Agenden wiederholt einhämmert (wie das “Damit der, der arbeitet, nicht der Dumme ist”)? Das als ‘Kindersprache’ zu labeln, hieße Kinder beleidigen. Außerdem: Jene paternalistische Anmutung von Machtträgern (Kreisky, Pröll etc.), die mit der Infantilisierung ihrer Untertanen einhergeht, fällt bei Kurz weg, denn er ist vieles, aber kein Patriarch. Sondern Kurz ist selbst ‘Kind’. Die ihm oft nachgesagte Messias-Pose hat mit dem politischen Messianismus das Pathos des Zeitenbruchs gemeinsam (z.B. in der Leerform von “Es ist Zeit”, Wahlslogan 2017). Aber noch mehr bringt das Bild vom Messias Kurz die Folklore-christliche Vorstellung vom ‘Gesalbten’ als Jesu-Kindlein ins Spiel: frisch gesalbt und gegelt, mit zarter Babyhaut und quängelnder Stimme. Ein solcher Körper, der als königlicher ‘uns alle’ mitverkörpert, vielmehr: das mit verkörpert, was und wie die meisten gern sein möchten – wer würde den anpatzen wollen oder dürfen?

Kritik ist verboten (außer sie ist Hetze, die Kritik heißt)

Kurzens Phobie gegen das Anpatzen – als politischer Diskurs, nicht als Seelenzustand betrachtet – ist spezifisch in zweierlei Hinsicht. Erstens: Sofern diese Phobie die Kehrseite einer Sauberkeits-Obsession ist (oder wäre), ist sie das nicht im Rahmen von Kampagnen der ‘Korruptionsbekämpfung’, wie sie die Neos oder die FÖP der ‘Saubermänner’ Steger und Haider (Frühphase) kennzeichnen. Zweitens entspricht der Anpatz-Angst eine Art Reinheitsgebot, allerdings nicht im Sinn von politischem Purismus, wie er (links)radikale oder religiös inspirierte Politikformen charakterisiert: Kurz ist ja angepasst, nicht angepatzt – also neoliberal flexibel, anpassungsfähig, auch im Sinn des politischen Opportunismus; Teil seines Erfolges ist ja, dass er fremden- und demokratiefeindliche Agenden, die die Freiheitlichen auf eine Art propagieren, die für ein Spießbürgertum noch kontroversiell ist, im Schnösel-Konsens-Ton artikuliert (3).

Zu Kurzens anschmiegsamer Artikulation gehört das Verbot, ihn anzupatzen. Und das heißt, dass er jede Art von rationalem Diskurs in der Politik, der ja als politischer Diskurs notwendig immer ein Moment von GegnerInnenschaft, Konfliktaustragung und Polemik beinhaltet, a priori für illegitim erklärt. Nämlich für unrein bzw. als einen obszönen Akt. Zur Illustration: Am Beginn seiner bundespolitischen Laufbahn stand eine Kampagne als Integrations-Staatssekretär 2011: Sein erklärtes Ziel war, die Art, wie über MigrantInnen gesprochen wird, vom negativen Tonfall befreien, und Kurz tat dies unter Einsatz migrantischer Promis als “Integrationsbotschafter” (darunter auch Frauen), die Dankbarkeit bezeugen und Mehrheits-Österreichs narzisstisches Selbstbild mit ausmalen sollten – und mit dem Verdikt, ab jetzt müsse auch Schluss sein mit Beschwerden von wegen Rassismus. Geblieben ist von dieser Kampagne die zunehmende Dethematisierung von Rassismus durch Bundesregierungen, die immer rassistischer handelten, sowie die phobische Reaktion auf jegliche Kritik. Und eine Ironie: Kritik gilt zunehmend als Akt des Anpatzens – im selben Maß, wie der nach rechts weggebrochene Mainstream Rülpser Richtung Brüssel oder xenophobe Hetze als “EU-skeptisch” oder “migrationskritisch” nobilitiert.

Ziemlich fad… und irgendwie eklig

Was da als Kritik gilt – und als was da Kritik gilt: Immanuel Kant speibt sich im Grab an, um in der “Patz”-Diktion zu bleiben. Allein, mit etablierten Formen bürgerlicher Öffentlichkeit darf man einem Akteur nicht kommen, dem Institutionen von Repräsentation samt ihrem unvezichtbaren Quantum Präsenzmystik (das Hier und Jetzt der Parlamentsabstimmung) fremd und fad sind. Als er sich noch zu Kurzaufenthalten im Parlament herabließ, liebkoste er sein Handy, wenn die Opposition die Tribüne bestieg; und für seine Vermutung, bei seiner ‘Abwahl’ durch das herätische Hohe Haus habe sich ein SPÖ-FPÖ-Geheimbündnis manifestiert, man sehe also nun alles offen zutage treten, verwendete er im Standard-Interview die Metapher “Jetzt ist der Vorhang gefallen” – was genau das Gegenteil bedeutet, nämlich dass der Vorhang zugezogen und das Bühnengeschehen verdeckt ist. File under: Deutsch vor Vorhang-Zuzug, oder: Wozu brauch ich Basiskenntnisse von Repräsentations-Konventionen bürgerlichen Theaters, wenn mich jenes Sprechtheater, das ein Parlament immer auch ist, eh anödet und ich gerade die Reste bürgerlicher Öffentlichkeit, besonders ihre Anteile von Sittlichkeit, Regelpoetik und Kosmopolitik, erfolgreich beseitige?

Die Kurz-Attacken aufs Anpatzen entspringen mit einer Phobie gegens Parlament (“Selbstausschaltung”, anyone?), generell gegen geregelte Formen öffentlicher Debatte und Streitkultur. Das ist zum Teil die Wiederholung des konsensdogmatischen Mottos “Genug gestritten!”, mit dem Kanzler Faymann in die vorgezogene Nationalratswahl 2008 ging: Dasselbe in Türkis, ja, aber als ein once more with feeling. Denn dass politischer Streit mit einem Bannfluch belegt wurde (und Kurz & Strache schon ob ihres bloßen Einander-Angrinsens als Genies des good government galten), ist eine Sache. Eine andere ist die Dauerpanik des gesalbten Kindes, das wir alle sein wollen sollen, vor dem Anpatzen: Das ist eine Gefühlspolitik der Abjektion, des Ausstoßens von als eklig stigmatisierten Anderen. Dieser Abjekt-Affekt ist Kurzens Kehrseite der freiheitlichen Manie, jeweilige Konkurrenz und Hassobjekte (die ‘grüne Kröte’, den feisten Roten, den hakennasigen Orientalen, der früher ‘Ostjude’ war) als physisch widerlich jenseits aller austragbaren GegnerInnenschaft hinzustellen. Ob FPÖ-Cartoon oder Anpatz-Panik – beide beschwören etwas, das einem jubelseligen völkischen Wellness-Körper gefühlssubstanziell unerträglich ist. Fremde und Infragestellerinnen – beide sind dem Frontex-gesalbten Wohlstands-Wir als Volksfeinde zuwider.

Anmerkungen

(1) Leute, die das so sehen, heißen allgemein Nazis.

(2) Walter Müller: “Kurz’ Wunschtermin wackelt wegen Wallfahrt und Fest”, Der Standard 4.6.2019, S. 3.

(3) FPÖ-Politik hingegen zehrt seit Haider auch davon, dass sie als transgressiv gegenüber dem bürgerlichen Anstand, oft als dirty, auftritt: Rebellionspathos in Form ‘gewagter’ Anspielungen; kaum verhohlener Fremdenhass in Form ‘anzüglicher’ Witze. Fragt sich: Kann diese dirtiness jemand anderer als Strache authentisch performen? Oder jetzt erst recht nur Strache, weil nun ultimativ dirty? – Als Zielgruppen-Flankenschutz für Kurz in der ÖVP könnte sich Gernot Blümel als dirty companion zum unangepatzten Kanzler profilieren, mit sexy verkniffenem Blick, Parlamentsreden in Socken haltend wie ein Pornodarsteller…

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Drehli Robnik

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