Wozu bemühen sich LehrerInnen um ihre SchülerInnen, wenn ihnen nach vier Jahren NMS alle weiteren Entwicklungswege verbaut werden? Eine Wiener NMS-Lehrerin im reflektive-podcast.
In Bildungsdebatten kommen PolitikerInnen oder GewerkschafterInnen oft zu Wort. Wesentlich seltener hören wir LehrerInnen. In diesem reflektive-Podcast beschreibt eine NMS-Lehrerin den Arbeitsalltag an einer Neuen Mittelschule Schule in Wien. Maria Lodjn spricht über Kinder, die nicht gerne auf Wandertag gehen, weil ihre Fluchterfahrungen nicht aufgearbeitet sind, hängen gelassene PädagogInnen und ein Bildungssystem, das Kinder und Jugendliche eher loswerden will, als sie gestärkt auf den weiteren Lebensweg gehen lässt.
Separierte Deutschklassen: „Mehrklassensystem“ mit Gefahr von Schullaufbahnverlusten
Die im Herbst startenden separierten Deutschklassen, die für maximal zwei Jahre außerordentliche SchülerInnen aus Regelschulklassen herausholen, lösen Deutschkurse und UnterstützungslehrerInnen in kleinen Gruppen ab. Durch den Sprachfokus wird die Vermittlung von Sachkunde oder anderen Fächern zu kurz kommen. Die Gefahr besteht, dass es keinen Umstieg in die nächste Schulstufe im Regelschulssystem geben wird, sondern wieder in der ersten Klasse begonnen werden muss. Dieser Schullaufbahnverlust birgt Gefahr, dass diese Kinder als „Altersufos“ ins Sonderschulssystem abgeschoben werden, weil ihnen Fähigkeiten vorschnell abgesprochen werden.
Situation an den Neuen Mittelschulen – Generation geht verloren
In gewisser Weise stellen neue Mittelschulen eine Fortführung des „Mehrklassen-Bildungssystems“ dar. Die LehrerInnen erfahren zu wenig Unterstützung, um mit den schwierigen Lehr- und Lernbedingungen umzugehen. Seit Jahren sind unterstützende Faktoren wie etwa BeratungslehrerInnen und SchulsozialarbeiterInnen unterdotiert. Durch neue Einspaarungen werden sie weiter geschwächt. Das Bildungssystem hat sich zu wenig auf veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen eingestellt. Dazu kommen Kürzungen im weiterführenden Ausbildungssystem: Die Regierung plant ja Kürzungen bei der überbetrieblichen Lehrlingsausbildung.
Kernaufgabe soziale Sicherheit statt Bildung und Leistungsdruck?
Die Folge dieser fehlenden Adaptierung und der Einsparungen spüren LehrerInnen in der geringen Anerkennung. Kinder und Jugendliche erkennen und verinnerlichen, dass sie keine Chancen haben. Armutssituationen haben viele Nebeneffekte, die die Schule mit ihren Mitteln nicht kompensieren kann. Dabei ist die Schule mit all ihren Abläufen oft der einzige sichere Ort, den Kinder erfahren. Wenn Kinder die Sorgen ihrer Eltern wahrnehmen, merken, dass sie abgehängt werden und auch Angst haben, nicht in Österreich bleiben zu können, dann wird klar, dass diese Perspektivenlosigkeit früher oder später auch ein Thema der sozialen Sicherheit und des Zusammenhalts werden wird. Diese Rahmenbedingungen konterkarieren die eigentlichen Bildungsziele, die wir mit Schule verbinden.
Wir danken Kontrast für die Möglichkeit, dieses Material nutzen zu können.