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verschiedene Computerstecker und sonstige technische Geräte

Gewerkschaften und NGOs zu Terroristen machen – Das Strafrechtsänderungsgesetz 2018

Im Eiltempo will die Bundesregierung zwei Änderungen durchs Parlament bringen, die NGOs und Gewerkschaften in die Nähe des Terrorismus rücken können.

Terrorismus soll es in Zukunft bereits sein können, wenn Computersysteme durch bloße Eingabe oder Übermittlung von Daten beeinträchtigt werden. Dass Eintreten für Demokratie und Menschenrechte niemals Terrorismus sein kann, soll hingegen aus dem Gesetz gestrichen werden. So will es die Bundesregierung.Vielleicht auch deshalb gibt es für diesen Gesetzesentwurf eine unüblich kurze Begutachtungsfrist: Sie endet nach nur zwei Wochen am 30. Mai. Üblich sind sechs Wochen. Da hat es also wer sehr eilig…

Kriminelle Vereinigung und Anti-Terrorparagrafen

Für Aufsehen und Debatte sorgte dieser Tage die Meldung, dass gegen Mitglieder der sogenannten „Identitären Bewegung“ Anklage wegen des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung erhoben wurde. § 278 StGB stellt Zusammenschlüsse von zumindest zwei Personen unter Strafe, die darauf abzielen, schwere Verbrechen wie Mord, Körperverletzungen, schwere Sachbeschädigungen, aber etwa auch Geldfälschungen oder Korruption zu begehen. Seit 2015 fällt auch Verhetzung (§ 283 StGB) unter die Strafbestände, die in einer kriminellen Vereinigung begangen werden können. Unter dem Eindruck der Anschläge von 11. September 2001 wurden § 278 StGB im Jahr 2003 mehrere Spezialparagrafen gegen „Terrorismus“ angefügt, die seither ständig erweitert werden. Zu besonderer Bekanntheit kam etwa § 278a („Kriminelle Organisation“), der im Jahr 2008 den rechtlichen Vorwand zur Verhaftung mehrerer TierrechtlerInnen lieferte. Sie hatten mit regelmäßigen Kundgebungen vor Geschäften versucht, den Verkauf von Pelzkleidung zu beenden. Nach monatelanger Untersuchungshaft und jahrelangen Gerichtsverfahren endete der sogenannte „Tierschützerprozess“ 2011 mit Freisprüchen, hatte aber für die Angeklagten erhebliche soziale und gesundheitliche Langzeitfolgen. Die AktivistInnen hatten offenkundig nichts anderes als ihre demokratischen Rechte ausgeübt und waren dafür in U-Haft gesessen sowie vor Gericht gezerrt worden. Um solche Ereignisse künftig zu verhindern oder zumindest zu erschweren, wurde § 278a abgeändert: Es reicht seit 2012 nicht mehr aus, dass Menschen, dass Menschen „erheblichen Einfluss auf Politik oder Wirtschaft nehmen wollten, um ins Visier von ErmittlerInnen geraten zu können. Schließlich ist es das Wesen der Demokratie, dass BürgerInnen Einfluss auf die Politik nehmen.

Seit 2010 sind die Bestimmungen der Spezialparagrafen regelmäßig erweitert worden und umfassen derzeit neben Terrorismusfinanzierung auch Ausbildung von TerroristInnen (2010) und „Anleitung zur Begehung einer terroristischen Straftat“ (2011).

Menschenrechte und Demokratie „entfallen“

§278c definiert, was terroristische Straftaten sind und ist – wie alle Gesetzesbestimmungen – sehr allgemein formuliert. So führt er als mögliche terroristische Straftaten auch schwere Nötigung (§ 106 StGB) oder schwere Sachbeschädigung (§ 126) an, wenn dadurch z.B. Gefahr für fremdes Eigentum in größerem Ausmaß entstehen kann, sofern „eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens (…) mit dem Vorsatz begangen wird, (…) öffentliche Stellen (…) zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates (…) ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören.“

Das ist interpretierbar und es ist denkbar, dass EntscheidungsträgerInnen auf die Idee kommen könnten, diese Bestimmung gegen längere Streiks oder häufige Demonstrationen anzuwenden. Das wäre zwar missbräuchlich, aber Vergleichbares ist ja im Fall der TierrechtsaktivistInnen passiert. Um derartige Interpretationsmöglichkeiten auszuschließen hat § 278c einen Absatz 3, in dem es heißt: „Die Tat gilt nicht als terroristische Straftat, wenn sie auf die Herstellung oder Wiederherstellung demokratischer und rechtsstaatlicher Verhältnisse oder die Ausübung oder Wahrung von Menschenrechten ausgerichtet ist.“

Dieser Satz soll ersatzlos gestrichen werden. Er sei nicht notwendig, heißt es in den Erläuterungen zum Begutachtungstext, da er „insbesondere bei Tathandlungen Anwendung finden (soll; Anm. reflektive), die in nicht demokratischen Gesellschaften außerhalb der Europäischen Union begangen werden und gegebenenfalls in Österreich abzuurteilen sind.“ Und das sei in der letztgültigen Anti-Terrorismus-Richtline der EU nicht mehr vorgesehen.

Für JesidInnen oder KurdInnen, die vor ihrer Flucht gegen den sogenannten Islamischen Staat um ihr Leben gekämpft haben, könnte das Gerichtsverfahren und Gefängnisstrafen nach Anti-Terrorbestimmungen bedeuten. Doch nicht nur das. Die GesetzesautorInnen tun so, als könnten nur für Menschenrechte eintretende KämpferInnen in weit entfernten Ländern zu Unrecht verfolgt werden. In der EU-Richtlinie selbst steht aber etwas ganz anderes: „Die vorliegende Richtlinie muss im Einklang mit diesen Rechten und Grundsätzen umgesetzt werden, wobei auch die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte und andere völkerrechtliche Menschenrechtsverpflichtungen zu berücksichtigen sind.“ Und in ihrer Vorgängerin stand es noch deutlicher: „Dieser Rahmenbeschluss kann nicht dahin gehend ausgelegt werden, dass er Grundrechte oder Grundfreiheiten wie das Streikrecht und die Versammlungs-, Vereinigungs- oder Meinungsfreiheit, einschließlich des Rechts, mit anderen Gewerkschaften zu gründen und sich zur Verteidigung seiner Interessen Gewerkschaften anzuschließen, und des damit zusammenhängenden Demonstrationsrechts, schmälert oder behindert.“

Die Bestimmung zielt also gar nicht auf FreiheitskämpferInnen aus fernen Ländern ab, sondern ist und war als konkreter Schutz vor innerstaatlichem Missbrauch gedacht, der nunmehr gestrichen werden soll. Damit wird denkbar, dass vom Terrorismusparagrafen auch Gewerkschaften und NGOs erfasst werden, die ihre Grund- und Freiheitsrechte ausüben.

Neue Terrorstrafbestand trifft Gewerkschaften und Zivilgesellschaft

Neben der Streichung der Menschenrechte aus den Strafparagrafen fällt auch die Aufnahme eines bisher nicht als terroristisch betrachteten Delikts in die Liste terroristischer Straftaten auf: die Störung der Funktionsfähigkeit eines Computersystems (§ 126b StGB).

Das mag zunächst nachvollziehbar sein: Wer ein Computersystem lahmlegt und dadurch Menschen in Gefahr bringt, der Wirtschaft Schaden „in großem Ausmaß“ zufügt oder Teile der „kritischen Infrastruktur“ zum Absturz bringt, sollte schon verfolgbar sein.

Doch auch hier lassen allgemeine Formulierungen Interpretationen zu, die NGOs oder Gewerkschaften schnell in die Nähe des Terrorismus rücken können. Strafbar ist bereits, wer ein Computersystem stört, indem er oder sie „Daten eingibt oder übermittelt“. Auf diese Weise können etwa Organisationen in den Wirkungsbereich des Terrorismusparagrafen geraten, wenn sie dazu auffordern, zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt massenhaft die Kontaktformulare von Unternehmen oder Behörden zu nutzen (um etwa gegen bestimmte Geschäftspraktiken oder eine politische Maßnahme zu protestieren). Dass dies Störungen auslösen kann, hat das Innenministerium selbst vor wenigen Wochen vorexerziert: Bereits wenige tausend UnterzeichnerInnen des Frauenvolksbegehrens brachten am 13. Februar 2018 die Systeme des Innenministeriums zum Absturz. Das Technik-Chaos vergrößerte sich am 14. Februar mit dem Beginn des „Don‘t-smoke“-Volksbegehrens und konnte bis zum 20. Februar nicht vollständig behoben werden. Diese über eine Woche andauernde Störung der Systeme wurde allein durch Eingabe und Übermittlung von Daten verursacht. Auch wenn in diesem Fall der Terrorparagraf nicht zur Anwendung hätte kommen können, weil es das FPÖ-geführte Innenministerium selbst war, das den Fehler zu verantworten hatte, zeigt das Beispiel sehr gut, wie schnell etwa eine unangekündigte Anfrageaktion Schaden von zumindest 300.000 Euro auslösen und zu einer Verfolgung nach § 126b (und damit nach dem Terrorismusparagrafen) führen könnte. Der „Schaden“ für das Innenministerium muss nämlich offenkundig weit über 300.000 Euro gelegen sein, wie aus einer Anfragebeantwortung des Innenministers geschlossen werden kann.

Beispiele aus dem Leben: Was als Terrorismus verfolgt werden könnte

Doch der Terrorismusparagraf könnte allein schon durch die konzertierte Nutzung von Bankomaten zur Anwendung kommen. In Katalonien forderte die Aktion „la force de la gente“ im Zuge des Konflikts mit der spanischen Zentralregierung die Bevölkerung auf, am 19. Oktober 2017 zwischen neun und zehn Uhr vormittags konzertiert Geld von ihren Konten bei spanischen Banken sowie Banken abzuheben, die für den Fall der Unabhängigkeit Kataloniens mit der Verlegung ihrer Unternehmenszentralen gedroht hatten. Die auf eine Stunde beschränkte Aktion verursachte angeblich einen Schaden von 29 Millionen Euro. In die Schadensberechnung einbezogen sind Kosten wie der erhöhte Aufwand für die Bereithaltung von Geld, die Personalkosten für das Nachfüllen von Bankomaten, erhöhte Personalkosten in den Filialen und die Bewältigung des erhöhten Anfrageaufkommens bei den Callcentern der Banken. In einer sehr aufgeheizten innenpolitischen Situation kann also bereits als Schaden gewertet werden, wenn Unternehmen das tun müssen, wofür sie eigentlich da sind.

Es bedarf nicht sehr viel Phantasie, um auch auf Österreich zutreffende konkrete Beispiele zu finden: Im Speziellen stellt § 126b die Störung kritischer Infrastruktur (§ 74 StGB) unter Strafe. Dazu zählt die Funktionsfähigkeit öffentlicher Informations- und Kommunikationstechnologie und der öffentliche Gesundheitsdienst. Aus der Tatsache, dass bereits die konzertierte Eingabe von Daten zu schweren Störungen führen kann (wie die Volksbegehren im Februar gezeigt haben), könnte also etwa eine kollektive Abmeldung mehrerer tausend Menschen von der elektronischen Gesundheitsakte ELGA zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem Terrorismusverfahren gegen Organisationen führen, die dazu aufrufen. Völlig abwegig ist der Gedanke nicht, nachdem die schwarz-blaue Bundesregierung die Möglichkeit geschaffen hat, Gesundheitsdaten an Pharmaunternehmen zu verkaufen (und damit große öffentliche Aufregung und eine Abmeldewelle bei ELGA auslöste).

Regierungseile vs. BürgerInnenrechte: Teilnahme am Begutachtungsverfahren

Bemerkenswert ist auch die Eile, mit der das Strafrechtsänderungsgesetz 2017 durch den Nationalrat gebracht werden soll. Üblicherweise sollte eine Begutachtungsfrist zumindest sechs Wochen dauern. Im Falle dieses Gesetzes sind es nur zwei. Formal mag die Begründung darin liegen, dass die EU-Anti-Terror-Richtlinie bis 8. September innerstaatlich umgesetzt sein sollte. Um diesen Termin trotz sechswöchiger Begutachtungsfrist zu halten, müsste allenfalls in den Sommermonaten eine Sondersitzung des Nationalrats stattfinden. Doch all das ist kein Grund für besondere Eile: Es gibt zahlreiche EU-Richtlinien, die Österreich noch nach Jahren nicht vollständig umgesetzt hat (etwa die letzte Richtlinie zu Vergabeverfahren, deren Umsetzung schon allein aus sozial- und arbeitsrechtlichen Gründen dringlich ist). Auf ein paar Wochen auf oder ab kommt es also nicht an. Und die zwei in diesem Beitrag angeführten Beispiele setzen gar keine Inhalte der Anti-Terror-Richtlinie um.

Bleibt: Hier werden wesentliche Verschlechterungen für die Zivilgesellschaft im Eiltempo durchgedrückt.

Alle BürgerInnen haben die Möglichkeit, formlos am Begutachtungsverfahren teilzunehmen. Dies kann schriftlich oder elektronisch erfolgen. Alle dazu notwendigen Informationen gibt es hier. Noch ist die Hoffnung, dass möglichst viele Menschen am Begutachtungsverfahren teilnehmen, nicht strafbar.

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Lukas Wurz

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