Im Regierungsprogramm kommen Kinderbetreuungseinrichtungen nicht ohne ideologischen Zuckerguss aus. Doch die bestehenden quantitativen und qualitativen Probleme werden nicht angegangen.
Barcelona, we have a problem!
Die Kindergartenagenden liegen im Zuständigkeitsbereich der Länder. Über die Hälfte der Kindergärten werden von Gemeinden geführt, die übrigen 45% von privaten Betreuungseinrichtungen. Es sind vor allem Vereine (wie z.B. die Kinderfreunde), die Kindergärten betreiben. Jeder sechste Kindergarten wird von einer religiösen Einrichtung geführt – und davon machen nicht nur muslimische Familien Gebrauch. Knapp 23.000 Kinder werden in katholischen Kindergärten betreut.
In den letzten 20 Jahren hat sich die private Kindergartenerhalteranzahl verdreifacht: waren es 1994 noch 901, so gab es 2016 schon 3.100 private Träger. Ohne sie wäre das seit 2010/11 bestehende verpflichtende letzte Kindergartenjahr sicher nicht zu meistern.
Die Kinderbetreuung ist von quantitativen wie qualitativen Problemen geprägt. Es gibt vor allem im Kleinkindbereich zu wenige Plätze. Alle Jungeltern kennen den Run auf Krippenplätze. Anekdoten von Schwangeren reißen nicht ab, die sich um Warteplätze je nach Geburtstermin-Reihung die Ellbogen auspacken. Aufgrund der knappen Plätze werden beispielsweise in Wien geförderte Krippenplätze nur dann vergeben, wenn beide Elternteile eine Arbeit vorweisen können. Ist dies nicht der Fall, gibt es auch keinen Platz. Angesichts der wachsenden Zahl von befristeten Beschäftigungsverhältnissen ist das eine zusätzliche Belastung.
In Betreuungsquoten ausgedrückt: Österreich schafft die Barcelona Ziele bei den Unter-Drei-Jährigen nicht. Die vor mittlerweile 16 Jahren vereinbarten Barcelona-Ziele der EU sehen eine Quote von mindestens 33% bei unter Drei-Jährigen vor. 2016 lag Österreich mit nur 25,4% weit darunter. Nur jedes vierte Kleinkind unter zwei Jahren wird in Krippen betreut, die restlichen 75 % nicht. Bei den drei bis fünf Jährigen ist die Betreuungsquote deutlich besser und liegt bei 93 %. Diese (durchschnittliche) Quote verwischt aber die großen Betreuungsunterschiede zwischen den Bundesländern sowie zwischen Stadt und Land.
Die neue sprachliche Zielsetzung vom Kindergarten als Bildungseinrichtung hat sich in Bezug auf die Rahmenbedingungen und die Ausbildung der PädagogInnen noch zu wenig vollzogen. Grund dafür ist der fehlende politische Konsens, welche Aufgaben die Elementarpädagogik gesellschaftspolitisch leisten soll. Rein nach den finanziellen Mitteln entspricht der Kindergartenbereich mehr noch dem früheren Bild der Aufbewahrungsstätte. Es gibt keine einheitlichen Grundsätze, welche Kriterien für Betreuungsschlüssel, Gruppen- und Raumgröße oder auch Grünraum angewendet werden. Und damit kommen wir zum Qualitätsproblem. Einerseits bereitet die Ausbildung nicht auf das vor, was als Baustein für eine frühkindliche Bildungsförderung nötig wäre. Die Ausbildung erfolgt an den Bildungsanstalten für Elementarpädagogik (vor 2016 bakip) und schließt mit Matura ab, oder wird in 2,5-jährigen Kollegs angeboten. Viele junge Menschen, vor allem Frauen, machen die Ausbildung, ohne anschließend im Bereich zu arbeiten. Oder aber sie wechseln bald nach Abschluss der Ausbildung das Berufsfeld. Von den 37.500 Beschäftigten in den Krippen und Kindergärten sind nicht einmal 700 Männer. Das entspricht 2% (Zahlen ohne Wien, Kindertagesheimstatistik 2016/17).
Die Verantwortung und die Belastungen sind hoch, die Bezahlung gering und die Entwicklungsmöglichkeiten überschaubar. Das Einstiegsgehalt für KindergartenpädagogInnen beträgt 1.768,90 Euro im BAGs-KV. Das liegt 18 Euro über der Niedriglohnschwelle.
Was soll kommen?
Die Pläne der schwarz-blauen Regierung ignorieren das bisherige Bestreben der Länder, Qualitätssicherungsmaßnahmen umzusetzen. Immer wieder geht es um Werte. Doch hier ist die Unbestimmtheit eigenartig. Es wird die Definition und Kontrolle von Werten postuliert, ohne diese genau zu erläutern. Als Subtext wird gegen islamische Kindergärten, vor allem in Wien, Stimmung gemacht, ohne diese explizit zu nennen.
Im Bereich der Elementarpädagogik ist folgendes geplant:
- Zusammenlegung aller drei 15a Vereinbarungen zu einer, inkl. „zweijährige Verpflichtung zum Besuch eines Kindergartens für jene die das brauchen“ und Verpflichtung zur Sprachstandsfeststellung
- Erarbeitung und Beschluss eines verbindlichen Bildungsrahmenplans als Teil einer einheitlichen Bund-Länder Vereinbarung (der Begriff 15a Vereinbarung bleibt unverwendet)
- Klare Definition und Zielsetzungen von Bildung und Betreuung in den Kindergärten, hier geht es um Kernkompetenzen und Werte des pädagogischen Personals
- Analyse und Weiterentwicklung der Gruppengröße und Betreuungsschlüssel: diese sind derzeit bundesweit uneinheitlich geregelt
- Definition von höheren Standards für Aus,-Fort- und Weiterbildung, gerade die Leitungsfunktionen sollen eine Tertiäre Ausbildung bekommen
- Mutter-Kindpass soll ein Eltern-Kindpass werden um individuelle Entwicklungen zu fördern
Im Folgenden werden drei Grundlinien ausgewählt und analysiert.
Aus drei mach eins – klingt einfacher ist es aber wahrscheinlich nicht
Die Kindergartenagenden und das Pflichtschulwesen liegen im Zuständigkeitsbereich der Länder. Ob die Kompetenzbündelung und geplante Entmachtung der Länder sich so verändern lässt, bleibt abzuwarten.
Der Mix an Trägern, die auch von den Ländern gefördert werden, aber auch die uneinheitliche Gestaltung an Öffnungszeiten, Gruppengrößen, etc. kann und sollte aus Bundessicht Unbehagen hervorrufen. Einziger Hebel stellen Bund-Länder Vereinbarungen dar, die sogenannten 15a-Vereinbarungen, die den Ländern Anschubfinanzierungen mittels Förderkriterien bieten.
Der Bund hat derzeit drei verschiedene 15a-Vereinbarungen mit den Ländern laufen: eine wurde erst im Herbst 2017 um nur ein Jahr verlängert (“Ausbau des institutionellen Kinderbetreuungsangebots”) und zwei laufen im Sommer 2018 aus (das verpflichtende letzte Kindergartenjahr und die frühe sprachliche Förderung in institutionellen Kinderbetreuungseinrichtungen). Die Finanzierung ist angesichts der Summen, um die es für die Länder geht, nicht mehr als ein finanzieller Impuls.
Geplant ist nun die bestehenden drei 15a-Vereinbarungen zu einer zusammenzuführen. Zusätzlich soll es zu einer Einführung des zweiten verpflichteten Kindergartenjahrs und zu einer Festlegung von genau definierten Kernkompetenzen wie Sprache oder das Erkennen von Talenten und ein genau definierter und verbindlicher Wertekanon kommen. Ziel soll eine standardisierte und harmonisierte Sprachstandserfassung sein. Von einem weiteren Ausbau der Betreuungsstruktur ist nur kurz mit der Einschränkung „unter Bedachtnahme regionaler Besonderheiten“ die Rede. Das ist keine Ansage für das Kapazitätsproblem.
Dabei wird das zweite verbindliche Kindergartenjahr außer einer Schikane aller Dreijährigen und ihrer Eltern nicht viel ändern können. Denn schon derzeit gehen 96,1% aller Vierjährigen in den Kindergarten. Eine Sprachstandsfeststellung nutzt also gar nichts, wenn ohnehin fast alle bereits im Kindergarten sind. Es kann aber in manchen Regionen, wo es ohnehin zu wenige Betreuungsplätze gibt, zu noch größeren Engpässen für Krippenkinder kommen, weil diesen die „neuen“ Vierjährigen die Plätze „wegnehmen“. Auch würden diese Kinder, „die es brauchen“, nicht verstehen, warum nur sie und nicht das Nachbarskind in den Kindergarten gehen müssen. Hier wird im wahrsten Sinne viel verspielt. Es entsteht die absurde Situation, dass mit der Sprachstandsüberprüfung einerseits eine bürokratische Scheinaktion gesetzt wird, die kaum Wirkung zeigen kann, und andererseits eine negative Selektion unter Kindern vorgenommen wird. Vonnöten sind aber grundsätzliche qualitative Verbesserungen für alle Kinder und alle BetreuerInnen.
Elementarpädagogik als öffentliche Systemgastronomie
Dem Kinderbetreuungsbereich geht es ähnlich wie der Gastronomie: Ohne gute Arbeitsbedingungen ist Qualität nicht zu bekommen. Nur mit dem Aspekt, dass – um beim Bild zu bleiben – Kindergärten quasi eine öffentliche Gastronomie darstellt. Gemeinden sind die Arbeitgeber, die Bundesländer fördern. Das Resultat ist ein föderaler Fleckerlteppich: In Niederösterreich etwa sind die Verdienstmöglichkeiten etwas besser, aber dafür die Öffnungszeiten für Eltern schlechter als in Wien. Langfristig bedarf es einer universitären Ausbildung und verbesserter Rahmenbedingungen für ElementarpädagogInnen. Es braucht höhere Einstiegsgehälter, andere Gruppengrößen, mehr Männer, die in den Beruf einstiegen, bilinguale PädagogInnen, mehr LogopädInnen und SonderpädagogInnen, damit der Kindergarten zu einem elementaren Bildungsgarten der ersten Lebensjahre werden kann.
Screening als Zuschreibungsinstrument
In vielen Bundesländern gibt es bereits immer ausführlicher werdende Bildungsdokumentationen. In Wien wird beispielweise im letzten Kindergartenjahr vielfältig beobachtet und im Falle von erkennbaren Rückständen speziell gefördert. Hier wird mit viel pädagogischer Sachkenntnis und auch sensibler Elternarbeit vorgegangen. Die Kinder merken in der Regel nichts, weil es spielerisch in einer vertrauten Umgebung abläuft. Die geplante Vorladung zu einer Sprachstanderhebung ist genau das Gegenteil davon. Kleine Kinder werden vor lauter Schüchternheit und Stress wenig bis nichts sprechen. Und gerade mehrsprachige Kinder fangen erst später zu sprechen an, weil sie mehrere Sprachsysteme erlernen. Eine Sprachstandserhebung im Alter von drei oder vier Jahren könnte den Effekt des „speak to the test“ haben und die Sprachwelten und Eltern und Kinder nachhaltig beeinflussen.
Die Umwandlung vom Mutterkind-Pass in einen Eltern-Kind-Pass könnte zu einem medizinischen und pädagogischen Superscreening werden: Jugendliche, die sich vom Schularzt die Frage gefallen lassen müssen, warum sie als Babys Schreikinder waren. Dies kann zu Verselbstständigungen des Selbstbilds führen, die einer individuellen Entwicklung im Wege stehen.
Der seit Jahren unterfinanzierte Kinderbetreuungsbereich sollte weniger verpflichtendes Deutschcamp als inklusive Sozialisationsphase sein, die noch dazu Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie für beide Elternteile realisiert. An den zwei zentralen Problemen – zu wenige Betreuungsplätze und unzureichende Rahmenbedingungen – wird sich durch die geplanten Maßnahmen nichts ändern. Da helfen Gesamtbildungsziele, Werteausrufungen oder Sprachstandsschikanen für Dreijährige und ihre Eltern nichts. Überall dort, wo es einen Mangel gibt, dort gibt es verstärkte Konkurrenz. In einem Aufgabenfeld, für das die Bundesländer wesentlich verantwortlich sind, wird das zu einem elementaren Problem für uns alle.