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Presserat zu Message-Control: „Regierungsinformationen nicht unreflektiert übernehmen“

Sozialversicherung wehrt sich erfolgreich gegen Regierungspropaganda. „Regierungsinformationen“ sind „zu hinterfragen und auf ihre Korrektheit zu prüfen“

„Informationen von Regierungsstellen sind nicht immer ausgewogen und sollten von Medien nur nach eingehender Recherche und Überprüfung übernommen werden“, schreibt der österreichische Presserat in einer Entscheidung vom 22. August 2018. Medien sollten ihre „wichtige Kontrollfunktion „als vierte Gewalt im Staat“ wahr(..)nehmen und auch Regierungsinformationen nicht unreflektiert (..) übernehmen. Durch eine entsprechend tiefgehende Recherche und die Befragung unabhängiger Experten kann Versuchen von „Message Control“ von Vornherein wirksam entgegengewirkt werden.“

Der Presserat empfiehlt also, Regierungsangaben sicherheitshalber zu misstrauen.

Dienstwägen für Funktionäre oder Autos für Krankenbesuche?

Auf Ersuchen des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger hat sich der österreichische Presserat mit öffentlichen Behauptungen von Bundeskanzler Kurz und seinem Vize Strache während einer Pressekonferenz am 24. April 2018 über die Regierungspläne zur Neuordnung der Sozialversicherung auseinandergesetzt. Am 24. Und 25. April 2018 hatten zahlreiche Medien die angeblichen Fakten verbreitet. Allen voran die Kleine Zeitung – die neuerdings damit wirbt, besonders genau zu recherchieren – berichtete unter Berufung auf Regierungsunterlagen von „1000 Funktionären“ mit „160 Dienstautos“. „Allein im Jahr 2016 wurden 330 Millionen Euro für Zusatzpensionen für mehr als 16.000 Pensionisten aufgewendet, 1280 Ex-Mitarbeiter beziehen sogar Luxuspensionen (mehr als 300 Prozent einer ASVG-Pension). (…) Sozialversicherungen (hätten) über die Jahre ein Reinvermögen von sechs Milliarden Euro angehäuft, aber nie die Beträge gesenkt (…). Und auch an den Börsen wird spekuliert. Rund 1,3 Milliarden (vor ein paar Jahren waren es noch 600 Millionen) sind in Aktien oder Wertpapieren angelegt.“

Die sehr polemisch zusammengestellten Behauptungen wurden in zahlreichen Medien übernommen. Ungeprüft.

Wären die Behauptungen geprüft worden, so hätten sie wohl kaum eine derartige Verbreitung finden können. Der Hauptverband konnte die realitsverzerrende Darstellung bereits am nächsten Tag mit einem „Faktencheck der Sozialversicherungen zu Kritik der Bundesregierung“ korrigieren:

Die zehn Zeilen lange Punktation zur Sozialversicherung enthält unseriöse Verkürzungen, die nur als Falschmeldungen bezeichnet werden können. Darunter etwa:

  • „über 160 Dienstwagen(sic!), sich (sic!) Direktoren täglich von Graz nach Wien fahren lassen“
    In der Richtigstellung des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger wird dazu festgehalten: „Der Großteil der Fahrzeuge sind Transportfahrzeuge, Autos für Beitragsprüfer, Gesundheitsdienstleister und für Krankenbesuche. Richtig ist, dass es auch Dienstwägen in einer bundesweit tätigen Firma mit 26.000 Mitarbeitern gibt.“

  • „über die Jahre ein Reinvermögen von rund sechs Milliarden Euro angehäuft hat, aber nie Beiträge gesenkt hat.“ (Hervorhebung im Original; Anm.).
    Tatsache ist, dass die Sozialversicherung verpflichtet ist, eine Rücklage im Ausmaß der Ausgaben für einen Monat zu bilden. Angesichts eines jährlichen Gesamtbudgets der Sozialversicherung von über 60 Milliarden Euro entpuppt sich die Aussage des Bundeskanzlers als nichts anderes als die Feststellung, dass die Sozialversicherungsträger ihre gesetzlichen Verpflichtungen erfüllen. Darüber hinaus sind die Beiträge zur Sozialversicherung gesetzlich festgelegt (so etwa in § 51 ASVG). Es liegt also nicht im eigenen Ermessen der Sozialversicherung, Beiträge zu senken, wie die gewählte Formulierung nahegelegt.

  • „mit ungefähr 1,3 Milliarden Euro an Beitragsgeldern an der Börse in Wertpapiere (sic!) spekuliert. (Hervorhebung im Original).
    Auch wenn die Feststellung, dass die Sozialversicherung Gelder bisweilen in Wertpapieren anlegt, richtig ist, so wird in dieser Behauptung die Realität verzerrt. So gibt es etwa systembedingt einen Aufbau von terminbezogenen Mittel, etwa zur Bedeckung der Sonderzahlungen in der Pensionsversicherung oder vor bevorzugten Urlaubskonsumtionszeiten bei der BUAK (Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse). Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger schreibt dazu: „Die Veranlagung von Geldern der Versicherten ist präzise im § 446 ASVG geregelt. Sie hat mündelsicher, also mit den größten Sicherheiten des Kapitalmarktes, zu erfolgen und die Details sind genau festgelegt. Veranlagung in Aktien und nachrangige Schuldverschreibungen sowie in Derivaten sind gesetzlich ausdrücklich verboten. Kurzfristig nicht verplante Gelder in der Höhe von 1,4 Milliarden Euro sind in Wertpapiere höchster Bonität (z.B. Staatsanleihen) veranlagt. Die Veranlagungen der Sozialversicherung werden von der Aufsichtsbehörde und dem Rechnungshof laufend geprüft.“
    Es ist offenkundig unseriös, der Sozialversicherung vorzuwerfen, sie würde mit Beiträgen der Versicherten „spekulieren“.

Dazu kommen Vorwürfe hinsichtlich der pensionsrechtlichen Regelungen in der Sozialversicherung, die bereits in den 1990er abgeschafft wurden, jedoch bei derzeitigen PensionistInnen aus verfassungsrechtlichen Gründen noch immer wirken. Auch in diesem Fall obliegt es einzig und allein der Politik, nicht jedoch der Sozialversicherung, entsprechende gesetzliche Änderungen vorzunehmen. Eine solche hat im Jahr 2014 mit Sonderpensionsbegrenzungsgesetz stattgefunden. Es war die Politik, die sich dafür entschieden hat, aus verfassungsrechtlichen Gründen keine weiteren Einschränkungen vorzunehmen.

Verantwortungsvoller Journalismus statt „Messagecontrol“

Doch der Schaden war durch die breite Berichterstattung bereits angerichtet. Mit dieser Grundsatzerklärung des Presserats ist die Bundesregierung jedenfalls schwer diskreditiert: VertreterInnen der wichtigsten Medien des Landes haben festgestellt, dass ihrer Informationspolitik nicht zu trauen ist. Ausdrücklich wird auf „Messagecontrol“ verwiesen, also den Versuch der Bundesregierung und des Umfelds des Bundeskanzlers, die Berichterstattung über die Bundesregierung zu kontrollieren.

„Verantwortungsvoller Journalismus bedingt es selbstverständlich“, so der Presserat, „die Gegenseite im Artikel zu Wort kommen zu lassen.“

Die Bundesregierung hat bisher noch keine Stellungnahme zur Entscheidung des Presserates abgegeben.

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Lukas Wurz

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