Ganz überraschend kommt es nicht: Schwarz-Blau will die Bedarfsorientierte Mindestsicherung völlig aushöhlen.
Mit der Erzählung, dass die Mindestsicherung nur „ZuwanderInnen“ beträfe und der Hauptgrund sei, warum Menschen nach Österreich kämen, verdecken ÖVP und FPÖ die tatsächliche Zielrichtung: Langzeitarbeitslose Menschen sollen zukünftig schrittweise aus der Arbeitslosenversicherung und der Notstandshilfe „ausgesteuert“ und in die Mindestsicherung verschoben werden. Die angekündigten Regelungen gegen die angebliche „Zuwanderung in den Sozialstaat“ richten sich damit aber nicht allein gegen „ZuwanderInnen“, sondern gegen alle Menschen, die zukünftig auf Mindestsicherung angewiesen sein werden. Das werden dann aber nicht allein die 300.000 gegenwärtigen MindestsicherungsbezieherInnen sein, sondern auch jene 350.000 Menschen pro Jahr, die derzeit einen Notstandshilfeantrag stellen und ihre 420.000 Familienmitglieder. Zusammen also mehr als eine Million Menschen im Jahr …
Auf diese kommt neben einer Reihe anderer erheblicher Verschärfungen eine „Anspruchsobergrenze“ von 1.500 Euro pro Monat zu, und zwar unabhängig von der Familiengröße. Ein Haushalt mit zwei Eltern und zwei Kindern, in dem ein Elternteil z.B. 1.400 Euro im Monat verdient und der andere länger als ein Jahr arbeitslos ist, wird dann nur mehr 100 Euro im Monat erhalten. Und selbst diese geringe Unterstützung gibt es nur, wenn diese Familie kein Sparbuch, kein Auto und keine Eigentumswohnung hat.
Derzeit erhält dieselbe Familie in Wien 322,70 Euro pro Monat an Mindestsicherung, weil ihr tatsächliches Einkommen auf den Richtsatz von 1.722,70 Euro aufgestockt wird (in Tirol oder Vorarlberg etwas mehr).
Wer in den letzten sechs Jahren nicht zumindest fünf Jahre in Österreich verbracht hat, soll zukünftig höchstens eine „Mindestsicherung light“ von 365 Euro (und allenfalls 155 Euro als Integrationsbonus) erhalten.
Die schwarz-blauen Pläne sind sehr wahrscheinlich verfassungs- und europarechtswidrig, weil sie einerseits bestehender Judikatur des VfGH aus dem Jahr 1988 und andererseits der EU-Status-Richtlinie widersprechen. Mit den Mindestsicherungsgesetzen von Oberösterreich und Niederösterreich, die bereits weitgehend den Plänen der Bundesregierung entsprechen, sind bereits Verfassungsgerichtshof und EuGH befasst. ÖVP und FPÖ ist das aber egal…
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Der von Schwarz-Blau angestrebte Systemwechsel in der Sozialpolitik kommt auf leisen Sohlen daher: „Eine österreichische Sozialpolitik konzentriert sich vor allem auf die eigenen Staatsbürger und jene, die bereits einen Beitrag in unser System geleistet haben.“
Was prima vista als allgemeiner Stehsatz erscheint, nimmt schnell emotionale Gestalt an: „Vor allem in der jüngeren Vergangenheit ist der Sozialstaat durch unkontrollierte Zuwanderungswellen an die Grenze seiner Belastbarkeit gelangt. … Vor allem das gut ausgebaute Sozialsystem in Österreich ist einer der Hauptgründe, warum Menschen sich auf den Weg nach Österreich machen, weil sie sich hier einen hohen Lebensstandard und eine gute soziale Absicherung erwarten. Diese Zuwanderung in den Sozialstaat muss gestoppt werden…“
Um zu zwei Ansagen zu kommen:
• „Es kann nicht sein, dass Österreicher, die ihr Leben lang ihren Beitrag geleistet haben weniger oder gleich viel vom Sozialstaat bekommen, wie Zuwanderer, die erst seit kurzer Zeit in Österreich leben.“
• „Die Sozialhilfe (Mindestsicherung) ist eines der wichtigsten staatlichen Mittel, um Armutsgefährdung zu bekämpfen. Sie ist gedacht als eine Überbrückung für Personen in schwierigen Situationen, nicht aber als ein bedingungsloses Grundeinkommen.“
Von den sechs Absätzen, mit denen die Weltsicht der Bundesregierung umschrieben werden, behandeln vier „ZuwanderInnen“. Jeweils ein Absatz nimmt auf Pflege und Menschen mit Behinderung in sehr allgemeiner Weise Bezug.
Viel Lärm um Peanuts… und strukturelle Ignoranz
Die in der Einleitung zum Sozialkapitel des Regierungsprogramm dargelegte Weltsicht hat nichts mit der Realität zu tun. Knapp 90% aller Ausgaben für Soziales in Österreich (das sind 107 Milliarden Euro) sind unmittelbar an eine Erwerbstätigkeit geknüpft. Diese gibt es nur, wenn jemand erwerbstätig ist (oder im Fall der Pensionen: war) und Beiträge wie Steuern bezahlt hat. Die restlichen 11% der Sozialausgaben sind zumindest mittelbar an Erwerbstätigkeit gebunden. So etwa ist es nicht möglich, ohne gesetzlichen Aufenthaltstitel in Österreich Familienbeihilfe, Pflegegeld oder Bedarfsorientierte Mindestsicherung zu bekommen. Für diesen Aufenthaltstitel muss aber in der Regel die Person selbst (im Falle von Kindern: die Eltern) erwerbstätig sein. Die Behauptung, wonach Menschen aus anderen Ländern nach Österreich kommen und ohne Erwerbstätigkeit und Beitragszahlungen Sozialleistungen erhalten könnten, ist falsch. Das ist grundsätzlich ausgeschlossen.
Einzige Ausnahme bilden anerkannte Flüchtlinge nach Abschluss des Asylverfahrens. Sie sind auf Basis mehrerer internationaler Rechtsakte wie StaatsbürgerInnen zu behandeln.
Angesichts der insgesamt sehr geringen Ausgaben für Mindestsicherung in Österreich (weniger als 0,9% aller Sozialausgaben) ist die öffentliche Aufregung um die Mindestsicherung sachlich schwer nachzuvollziehen. Die Leistungen sind sehr niedrig (im Durchschnitt 333,74 Euro pro Person und Monat im Jahr 2016), im Regelfall vorübergehend (im Durchschnitt 8,5 Monate) und an strikte Bedingungen wie etwa eine Verpflichtung zur Annahme von Erwerbsarbeit oder Teilnahme an Kursen geknüpft.
Im Jahr 2016 erhielten 307.533 Menschen für durchschnittlich 8,5 Monate Mindestsicherung. Drei von fünf dieser Menschen waren allein aus physischen Gründen nicht in der Lage, ihr Einkommen aus Erwerbstätigkeit zu bestreiten. 6% waren bereits im Pensionsalter, 27% Kinder. Weitere 16% sind Menschen mit Behinderungen und noch einmal ca. 9% Menschen mit schweren gesundheitlichen Problemen. 90% der MindestsicherungsbezieherInnen erhielten lediglich eine Ergänzungsleistung zu einem bestehenden Einkommen aus Erwerbsarbeit, Arbeitslosengeld oder anderen Quellen. Nur 10% waren sogenannte VolleistungsbezieherInnen, bekamen also den vollen Richtsatz.
Dieser „volle Richtsatz“ lag im Jahr 2017 in Wien bei 844,46 Euro für einen alleinlebenden Erwachsenen und 1.266,70 Euro für Paare. Kinder bis 15 Jahren erhalten höchstens 228,- Euro. 90% der MindestsicherungsbezieherInnen erhalten aber nicht den vollen Betrag, sondern nur die Differenz zwischen ihrem sonstigen Einkommen und diesem Betrag. Und sie bekommen ihn – anders etwa bei der Ausgleichszulage bei Pensionen – nur zwölf Mal im Jahr. Eine Familie aus vier Personen erhält also höchstens 1.722,70 Euro, in der Praxis aber nur den jeweiligen Differenzbetrag auf diesen Wert. Hat also diese Familie etwa ein Einkommen in der Höhe von 1000,- Euro im Monat, erhält sie 722,70 Euro. Die Mindestsicherung in Wien liegt im österreichischen Mittelfeld: Die Leistungen in Vorarlberg, Tirol und Salzburg sind höher, in der Steiermark etwa gleich und in den anderen Bundesländern niedriger, als in Wien. Die weitaus überwiegende Mehrheit der MindestsicherungsbezieherInnen sind keine Flüchtlinge, sondern entweder österreichische StaatsbürgerInnen oder Menschen, die immer schon in Österreich gelebt haben.
Wenn die Mindestsicherung in der Praxis ihre Aufgabe – die soziale, gesellschaftliche und berufliche Inklusion – nicht erfüllt, liegt das weder an der Höhe der Mindestsicherung noch an den Menschen, die sie benötigen. Es liegt am Unwillen der Institutionen, bei der Inklusion zusammenzuarbeiten. Während die Länder genaugenommen ausschließlich für die Geldleistungen zuständig sind, werden die Aufgaben der anderen Institutionen – dazu zählen AMS, Bundessozialamt, Krankenkassen, Integrationsministerium, Unterrichtsminsterium, Pensionsversicherung, Wirtschaftskammern und noch einige mehr – nicht oder kaum erfüllt. Es gibt nicht einmal einen Ort, an dem die Mindestsicherung von diesen Institutionen koordiniert werden könnte. Die Mindestsicherung in Österreich ist also vergleichsweise billig, sehr repressiv… und faktisch wirkungslos. Die Länder tragen zwar Kosten, haben aber keinen Einfluss darauf, ob andere Institutionen ihre Aufgaben tatsächlich erfüllen. Die Mindestsicherung leidet also an bürokratischem Starrsinn und fehlender Kooperation. Ökonomisch betrachtet ist sie wahrscheinlich sogar „zu billig“. Lediglich das Bundesland Wien erreicht mit der Mindestsicherung tatsächlich 95% der Menschen, die sie benötigen. Die anderen acht Bundesländer erreichen im Durchschnitt nicht einmal 40% dieser Menschen. Grund dafür sind fehlende Information, Scham, aber auch kontraproduktive bürokratische Hürden und Schikanen.
Niederösterreich, Oberösterreich und das Burgenland haben 2017 ihre Gesetze massiv verschärft. Während Oberösterreich und das Burgenland – sehr wahrscheinlich verfassungs- und europarechtswidrig – die Leistungen spezifisch für Flüchtlinge stark gekürzt haben, hat Niederösterreich ebenso rechtswidrig die Leistungen für alle verschlechtert. Das niederösterreichische Mindestsicherungsgesetz wird derzeit vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpft, das oberösterreichische Gesetz vor dem Europäischen Gerichtshof. Beide Verfahren wurden von Landesverwaltungsgerichten eingeleitet. ExpertInnen rechnen mit der Aufhebung beider Regelungen.
Was kündigt die Regierung an?
• Deckel in der Mindestsicherung
Kern des Regierungsprogramms ist die Ankündigung eines sogenannten „Deckels“. Der Anspruch einer Familie auf Mindestsicherung soll unabhängig von der Personenanzahl mit 1.500 Euro im Monat begrenzt sein. Im Jahr 2018 würde dies dazu führen, dass bereits eine Familie mit einem Kind in den meisten Bundesländern Kürzungen hinnehmen muss. Der Deckel begrenzt aber nicht etwa den Auszahlungsbetrag der Mindestsicherung, sondern den gesamten Anspruch: Eine Familie mit zwei Kindern und einem Arbeitseinkommen von 1.400,- Euro netto im Monat erhält also nicht mehr die Differenz zwischen den 1.400 Euro und dem Richtsatz von 1.722,70 Euro (also 322,70 Euro im Monat), sondern allenfalls 100 Euro. Und sie bekommt auch nicht mehr, wenn sie drei, vier oder fünf Kinder hat.
Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ist eine derartige Regelung verfassungs- und europarechtswidrig.
• Mindestsicherung nur bei dauerndem Aufenthalt in Österreich
Mindestsicherung soll nur erhalten, wer fünf der letzten sechs Jahre in Österreich verbracht hat. Wer also etwa achtzehn Monate im Ausland verbracht hat und wieder nach Österreich zurückkehrt, erhält keine Mindestsicherung. Die ÖVP begründet diese Regelung mit dem Versuch, Flüchtlinge von der Mindestsicherung ausschließen zu können. In der Realität trifft sie aber auch ÖsterreicherInnen, die in den letzten Jahren im Ausland gelebt haben.
Auch diese Regelung ist sehr wahrscheinlich verfassungswidrig.
• „Mindestsicherung light“
Wer keinen Anspruch auf Mindestsicherung hat, weil er oder sie eben nicht fünf der sechs letzten Jahre in Österreich verbracht hat, erhält eine „Mindestsicherung light“ in der Höhe von 365,- Euro und unter Umständen einen „Integrationsbonus“ von 155,- Euro im Monat, wenn etwa ein Deutschkurs besucht wird. Das gilt selbstverständlich auch für österreichische StaatsbürgerInnen. Auch diese Regelung ist sehr wahrscheinlich verfassungs- und europarechtswidrig (siehe dazu Infoboxen am Ende des Artikels).
• Grundsatzgesetz zur Regelung der Mindestsicherungsanspruch
Seit Jahrzehnten scheitert in Österreich aus rein ideologischen bzw. machtpolitischen Interessen der Länder jeder Versuch, die Sozialhilfe bzw. die Mindestsicherung österreichweit einheitlich zu regeln. Das Regierungsprogramm kündigt nun an, ihr Programm mit einem Grundsatzgesetz zu regeln, das für die Bundesländer bindend sein soll. Sehr wahrscheinlich funktioniert das jedoch nicht so, wie Schwarz-Blau sich das wünschen. Weder können Verfassungs- und Europarecht durch ein Grundsatzgesetz ausgehebelt werden noch können die Länder gezwungen werden, Menschen keine zusätzlichen Leistungen über das mögliche Grundsatzgesetz hinaus anzubieten.
Neben diesen sehr wahrscheinlich rechtswidrigen Vorhaben von Schwarz-Blau enthält das entsprechende Kapitel des Programms vor allem Ankündigungen, die ohnehin bereits in allen Bundesländern rechtlich umgesetzt sind. Darunter fallen etwa die Verpflichtung, jede Arbeit anzunehmen sowie Kurse, Maßnahmen oder Ausbildungen zu besuchen, strafweise Kürzungen bei Nichterfüllung dieser Verpflichtungen, obligatorische Prüfung des Aufenthaltstitels im Verfahren oder die Möglichkeit, in bestimmten Fällen die Mindestsicherung auf Sachleistungen umzustellen.
Konsequenzen für Menschen – Kein Geld mehr für langzeitarbeitslose Menschen
Die Ankündigungen der Bundesregierung zur Mindestsicherung sind fast durchgängig rechtswidrig und werden, so sie überhaupt umgesetzt werden, mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Verfassungsgerichtshof oder dem Europäischen Gerichtshof aufgehoben werden. Unabhängig davon wird die Mindestsicherung zukünftig nicht mehr „nur“ 300.000 Menschen im Jahr treffen, sondern bis zu einer Million. Auf Seite 143 des Regierungsprogramms kündigt Schwarz-Blau mit einem „Arbeitslosengeld NEU“ die „Harmonisierung, … von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Bedarfsorientierter Mindestsicherung“ sowie die „degressive Gestaltung der Leistungshöhe mit klarem zeitlichen Verlauf und Integration der Notstandshilfe“ an. Das ist eine behübschende Umschreibung dessen, was in Deutschland „Hartz IV“ heißt: Die Höhe des Arbeitslosengeldes oder der Notstandshilfe sinkt kontinuierlich so weit ab, bis die Menschen in der Mindestsicherung landen. Anders als in der Notstandshilfe gibt es in der Mindestsicherung aber eine Verpflichtung zur Vermögensverwertung: Wer etwa ein Sparbuch mit mehr als 5.000 Euro oder ein Auto hat, muss dieses erst auflösen bzw. verkaufen und den Erlös aufbrauchen, ehe es einen Anspruch auf Mindestsicherung gibt. Wer in einer Eigentumswohnung lebt, kriegt nur eine Leistung, wenn sich der Mindestsicherungsträger quasi als Miteigentümer der Eigentumswohnung ins Grundbuch einträgt.
Bei längerer Arbeitslosigkeit – sehr wahrscheinlich nach einem Jahr wie derzeit in Deutschland – werden Menschen also nur mehr eine Unterstützung erhalten, wenn sie definitiv nichts mehr haben: kein Auto, keine Eigentumswohnung, kein Sparbuch. Betroffen von dieser Entwicklung werden jene etwa 350.000 Menschen im Jahr sein, die einen Notstandshilfeantrag stellen, sowie ihre etwa 420.000 Familienmitglieder. Für alle diese Menschen gilt dann der „Deckel“ in Höhe von 1.500,- Euro.
In Deutschland hatte diese Entwicklung insbesondere zwei Folgen: Einerseits eine echte Verelendung ganzer Stadtviertel insbesondere im Osten Deutschlands, und andererseits eine erschreckende Ausweitung des Niedriglohnbereichs auf ein 22,5% aller ArbeitnehmerInnen in Deutschland (Österreich 14,8%; EU-Durchschnitt 15,8%)).
Der Versuch, ein System der unterschiedlicher Leistungsniveaus zu schaffen, hat Folgen für alle Sozialleistungsschemata in Österreich: Die Ausgleichszulage und die daran geknüpfte Mindestsicherung gelten in Österreich als Existenzminimum zur Führung eines menschenwürdigen Lebens. Wird nunmehr ein niedrigeres Minimum etabliert und durchgesetzt, so erklärt der Staat auf diese Weise, dass auch mit weniger als der Ausgleichszulage (die auch das pfändungsfreie Existenzminimum nach der Exekutionsordnung darstellt) ein menschenwürdiges Leben in Österreich möglich ist. Das wiederum wirft die Frage nach der Legitimität nicht nur der Ausgleichszulage, sondern etwa auch der Rezeptgebührenbefreiung, der Befreiung von der GIS-Gebühr und aller anderen, am Wert der Ausgleichszulage orientierten Sozialleistungen und Vergünstigungen auf.
Zur Infobox „Regierungspläne verfassungs- und eu-rechtswidrig? Warum? Wieso? Weshalb?“ bitte auf weiterlesen klicken
Infobox: Regierungspläne verfassungs- und eu-rechtswidrig? Warum? Wieso? Weshalb?
Die 2010 geschaffene Rechtsgrundlage für eine einheitliche Mindestsicherung, ein sogenannter 15a-Vertrag zwischen dem Bund und den Bundesländern, ist Ende 2016 ausgelaufen und wurde nicht erneuert oder ersetzt. Eine Neuregelung kam nicht zu Stande, weil zwei ÖVP-regierte Bundesländer jene Verschärfungen durchsetzen wollten, die im Regierungsprogramm nunmehr enthalten sind.
Im Jahr 2017 haben zahlreiche Bundesländer ihre Mindestsicherungsgesetze neu geregelt und vielfach verschärft. Insbesondere Niederösterreich, Oberösterreich und das Burgenland haben dabei eine „Mindestsicherung light“ und einen „Deckel“ geschaffen.
Die niederösterreichische Regelung, die dem Regierungsprogramm als Vorbild dient, wird derzeit auf Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom Verfassungsgerichtshof geprüft, weil es nach Ansicht so ziemlich aller ExpertInnen verfassungs- und europarechtswidrig ist. Die Deckelung der Mindestsicherung unabhängig von der Familiengröße wurde bereits im Jahr 1988 vom Verfassungsgerichtshof als unsachlich aufgehoben. Und niedrigere Sozialhilfe für anerkannte Flüchtlinge als für StaatsbürgerInnen verletzt sehr offenkundig Art. 29 der EU-Statusrichtlinie.
Dies versucht Niederösterreich zu umgehen, indem es für alle Menschen, die nicht zumindest fünf der letzten sechs Jahre in Österreich verbracht haben, einen eigenen, sehr niedrigen Mindestsicherungsanspruch geschaffen hat (also auch österreichische StaatsbürgerInnen, die etwa eine Zeit im Ausland verbracht haben). Das wiederum wirft für Niederösterreich neue Probleme auf: So etwa ist schwer zu rechtfertigen, dass es für österreichische StaatsbürgerInnen einen Integrationsbonus geben kann, der z.B. an den Besuch eines Sprachkurs geknüpft ist. Darüber hinaus legt ein Blick in die Judikatur des VfGH nahe, dass eine niedrigere Mindestsicherungsleistung für österreichische StaatsbürgerInnen insofern verfassungswidrig sein könnte, als „der Zweck, dem betroffenen Personenkreis das Existenzminimum zu gewähren, nicht mehr gewährleistet sein würde.“
Am 19, Dezember 2017 wurde bekannt, dass sich auch das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich an den Europäischen Gerichtshof gewandt hat, um eine so genannte Vorabentscheidung über die oberösterreichische Mindestsicherungsregelung zu erhalten. Der EuGH wird somit über die Rechtmäßigkeit der sogenannten “Mindestsicherung light” zu befinden haben.