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Broncia Koller-Pinell, Silvia Koller mit Vogelkäfig, 1907/08 © Vera Eisenberger KG, Wien
Broncia Koller-Pinell, Silvia Koller mit Vogelkäfig, 1907/08 © Vera Eisenberger KG, Wien

Wer hat Angst vor Klimts Schwestern?

Warum die goldene Zeit der Wiener Künstlerinnen vergessen wurde und was wir heute brauchen. Die Ausstellung „Die Stadt der Frauen“ im Belvedere (Achtung: nur noch bis Sonntag, 19. Mai)

Ein Essay

Schon mal von Broncia Koller-Pinell gehört? Eben. Als ich das erste Mal in die Ausstellung „Die Stadt der Frauen“ im Belvedere besuchte, war ich begeistert, verwirrt und überfordert. Who is who? So viele Künstlerinnen aus dem „Wien der Jahrhundertwende“ (1900 bis 1938), von denen ich noch nie gehört hatte. So viele fremde Namen (56!), künstlerische Richtungen (von Impressionismus bis Kinetismus), so viele Bilder und Skulpturen, in so vielen Räumen. Meine Freundin sagte am Weg hinaus: „Wir müssen diese Namen jetzt lernen. Ein Plakat am Klo wäre super.“ Ich kaufte den Katalog, aber bevor ich ihn lesen konnte, musste ich erst meinen Frust loswerden. Was wurde mir vorenthalten in all den Jahrzehnten, in denen ich mich für die Kunst des 20. Jahrhunderts interessiert hatte? Wieso wusste ich jetzt nach dem Besuch der Ausstellung keinen einzigen Namen? Ich hatte zu keiner einzigen der Künstlerinnen ein klares Bild, eine Story, ein Foto, einen Lebensweg. Ich fühlte mich von der Ausstellung allein gelassen mit der Freude über diese unglaubliche, überraschende Wiederentdeckung der vibrierenden Stadt der Künstlerinnen, die Wien einmal war. Und mit meiner Wut über den Skandal ihres Vergessens. Klar, hier geht es wieder einmal um die Vertreibung, die Vernichtung und das strategische Vergessen, die die österreichische Geschichte nun halt ausmachen. Trotz einer guten Ausstellungsführung, die vieles davon angesprochen hatte, schien mir die Sensation und der Skandal um diese Bilder in der „Stadt der Frauen“ zu sehr versteckt.

Klimts Schwestern im Geiste

Merchandising Klimt - Frauen nur als Objekte des Künstlers
Merchandising Klimt – Frauen nur als Objekte des Künstlers

Und dann das: „Run auf Klimt in Tokyo“ titelte der KURIER mit stolzer Brust. Unser Klimt in Tokyo, juche! Klimt, Schiele Kokoschka, juche! Rauf und runter, immer wieder. Österreichische Verkaufsschlager, Tourismusmagnete, Merchandising-Hits und jetzt auch noch Teil der Außenpolitik. Und wo bitte ist die weibliche Klimt, die weibliche Schiele, die weibliche Kokoschka? „Shakespeare´s Sister“ müsse erst einen Körper annehmen, hat Virginia Woolf in „A Room of One`s Own“ 1929 geschrieben. Aber, hey, Klimts Schwestern im Geiste, seine geschätzten Kolleginnen, die gab es! Sie dilettierten nicht im Abseits, sie waren überaus emanzipierte, professionell und international agierende Künstlerinnen, deren Namen und Geschichte getilgt wurden.

Wie hießen die nochmal?

Broncia Koller-Pinell, Die Mutter der Künstlerin, 1907, Foto: Johannes Stoll © Belvedere, Wien
Broncia Koller-Pinell, Die Mutter der Künstlerin, 1907, Foto: Johannes Stoll © Belvedere, Wien

Ich begann den Katalog der Ausstellung zu studieren, zu durchsuchen, fand auch diesen verwirrend. Auch hier war es schwer, die Künstlerinnen als Personen mit Geschichten wahrzunehmen. Ich arbeitete mit Post-its, um die minimalistischen Kurzbiographien im Anhang mit den Bildern der jeweiligen Künstlerin in Verbindung zu bringen; versuchte einen Überblick über die Künstlerinnen-Vereinigungen, die diese Frauen auf die Beine gestellt haben. Welche waren nun die von Klimt so geschätzten Kolleginnen, die er selbstverständlich in die von ihm kuratierten Ausstellungen in großer Zahl aufnahm? Wie hießen die nochmal? Und wie sahen sie aus? Der Katalog widersetzt sich wie die Ausstellung der Ikonisierung, der Schaffung von Stars, und der Popularisierung. In jedem Fall machen sie es uns echt schwer, zumindest ein paar dieser vor 1938 außergewöhnlich erfolgreichen Künstlerinnen deutlich wahrzunehmen und sich zu merken. Dabei bräuchte es genau das: ein klares Bild. Ein paar Gemälde bzw. Skulpturen, Portraitfotos und Geschichten zu ausgewählten Künstlerinnen. Um ein neues Bewusstsein für die andere, weibliche Hälfte des Wiener Fin de Siecle zu schaffen!

Davon können wir heute nur träumen

Plakat zur Kunstschau 1908
Plakat zur Kunstschau 1908: „Von einer Beteiligung von 33% Frauen wie bei der von Klimt gestalteten Kunstschau im Jahr 1908 können wir heute nur träumen“

Ich war und blieb ratlos, wütend und verwirrt. Kurzerhand ging ich ein zweites Mal in die Ausstellung, ich wollte die Bilder – ohne Führung – in Ruhe auf mich wirken lassen, mit dem Katalog in der Hand vor dem jeweiligen Bild die Kurzbiographie lesen, das Foto der Künstlerin anschauen. Die Begleittexte in der Ausstellung lesen. Doch es kam anders. Ich stolperte zufällig in eine Führung der Kuratorin Sabine Fellner und in ihr umfassendes Wissen über die ausgestellten Künstlerinnen, deren Werk und Werdegänge. Sie schwärmte über die „teilweise radikal emanzipierte Lebensführung“ der ausgestellten Künstlerinnen, ihre erstaunliche Internationalität, professionelle Vorgangsweise, ihren politisch wachen Geist. Erstaunlich sei, wie sie mit männlichen Kollegen wie Gustav Klimt, Egon Schiele, Josef Hoffmann, Kolo Moser und Franz Čižek in den Salons und Ausstellungen auf Augenhöhe kommunizierten, wie sie entschlossen in die männlichen Vereinigungen hineindrängten, eigene gründeten und Pionierarbeit zur Thematisierung von Kunst von Frauen leisteten. Dem Geist des frühen 20. Jahrhunderts entsprechend sprengten sie die Grenzen der Kunstrichtungen, arbeiteten multidimensional als (Innen-)Architektinnen, Designerinnen, Malerinnen, Druckgrafikerinnen. Je länger ich Sabine Fellner zuhörte, umso stärker entstand der Eindruck einer goldenen Zeit der Künstlerinnen in Wien. „Von einer Beteiligung von 33% Frauen wie bei der von Klimt gestalteten Kunstschau im Jahr 1908 können wir heute nur träumen“, sagte sie. Und wie offen diese Frauen ihre Sexualität (z.B. als femme fatales oder Lesben) lebten und Mutterschaft als Künstlerin thematisierten. Wie selbstverständlich sie in Weimar studierten, in Paris lebten, in Chicago ausstellten und sich in ihrer Malerei und Grafik für soziale Randgruppen interessierten. Ein versunkenes, ein vergessenes goldene Zeitalter der Frauenkunst in Wien, würde ich sagen. Wieso aber thematisiert diese Ausstellung das Trauma seiner Zerstörung und die Sensation seiner Wiederentdeckung nicht deutlich? Wieso verschließt sie sich so vor einer Popularisierung der Künstlerinnen?

Wieso wurden sie so lange vergessen?

Sabine Fellner erklärt auf meine Nachfrage, warum auch in der Nachkriegszeit und bis fast heute diese Künstlerinnen vergessen blieben. Es war ein bewusstes Vergessenmachen:

Hinweis für TouristInnen im Eingangsbereich des unteren Belvedere
Wo der Klimt wohnt: Hinweis für TouristInnen im Eingangsbereich des unteren Belvedere

1. Die bieder-patriarchale Nachkriegszeit wollte genau das nicht, eine goldene Geschichte emanzipierter, unangepasster Frauen.
2. Kunst von Frauen galt und gilt bis heute als minderwertig. Als es um 1980 einmal eine Einzelausstellung zu Broncia Koller-Pinell gab, wurde ihre Kunst als „Hausfrauenkunst“ abgetan. Kirk Varnedoe, Kurator des MOMA New York in den 1980er Jahren, meinte, er habe in die dortige Version der Ausstellung „Wien 1900: Traum und Wirklichkeit“ keine Frau aufgenommen, weil sie eben nicht so gut waren. „Brute fact“, sagte er. Er fixierte mit seinem Bestseller-Katalog quasi im Alleingang den Kanon zum Wiener Fin de Siecle.
3. Die Künstlerinnen waren zu einem großen Teil Jüdinnen, die vertrieben oder ermordet worden sind. Ihr Werk ging teilweise verloren während der Emigration oder lagerte vergessen in feuchten Kellern. Julie M. Johnson schreibt im Katalog, dass es hier nicht nur um ein Vergessen geht, sondern um ein „Überschreiben“ der Namen und Geschichten, um eine Auslöschung. (Siehe auch ihr Buch: The Memory Factory: The Forgotten Women Artists of Vienna 1900).

Jetzt Namen finden und merken

Durch meinen zweiten Besuch in der Ausstellung mit Spezialführung war ich jedenfalls angefixt, neugierig, fasziniert. Wieder zu Hause las ich also die wissenschaftlichen Artikel des Katalogs. Jetzt wollte ich es wissen. Und ja, ich gebe zu: Da steht viel von dem, was die Kuratorin erzählt hat. Auch die Begeisterung und die Empörung, die in der Ausstellung nicht direkt oder deutlich thematisiert werden, sind im Katalog spürbar. Schade nur, dass die Ausstellungbesucherin, die nicht so viel arbeiten will, diesen Kontext kaum erfährt. Und wahrscheinlich keinen einzigen Namen mit Bild und Geschichte mit nach Hause nehmen wird!

Eine Leitfigur

Broncia Koller-Pinell, Selbstbildnis, um 1905, 100 x 70 cm, Inv-Nr. KS-10906, © Landessammlungen NÖ
Broncia Koller-Pinell, Selbstbildnis, um 1905, 100 x 70 cm, Inv-Nr. KS-10906, © Landessammlungen NÖ

Für eine Ikonisierung, eine Einbindung in die Klimt-Folklore würde sich Broncia Koller-Pinell bestens anbieten. Auch Sabine Fellner nannte sie eine „Leitfigur“ der Ausstellung. Deshalb seien ihre Bilder auf so viele Ausstellungsräume verteilt worden. Auch weil sie in so vielen Stilen gearbeitet hat, von Pointilismus über den dekorativen Sezessionismus (ähnlich Klimt) zu Neuer Sachlichkeit. Aber wir nehmen sie als BesucherInnen dadurch kaum wahr! Wie schade. Nicht nur sind die Bilder von Koller-Pinell spannend und absolut auf Klimt-Niveau, auch die Geschichten über sie sind ikonisierungsreif! Ihr Haus in Oberwaltersdorf (bei Baden), eingerichtet von Josef Hoffmann und Kolo Moser, war ein „geistiges Zentrum und blieb bis in die dreißiger Jahre ein beliebter Treffpunkt von Künstlern wie Gustav Klimt, Egon Schiele und Kolo Moser.“ (Dort gibt es auch ein winziges Museum, zu dem online fast nix zu finden ist.) Koller-Pinell war auch gut bekannt mit Lou Andreas-Salomé, Sigmund Freud und Rosa Mayreder. Schon mal gehört vom Koller-Pinell-Kreis? Salon Oberwaltersdorf? Eben. Schade, denn das erinnert mich an die zeitgleiche Londoner „Bloomsbury Group“ rund um Virginia Woolf und ihre Schwester, die Malerin Vanessa Bell! Ähnlich interdisziplinär, radikal modern, von Frauen initiiert. Das wäre doch was für einen Film, einen Roman, eine prägnante Neuschreibung der Geschichte!

Teresa Feodorowna Ries, Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht, 1895; heute im Wien Museum
Teresa Feodorowna Ries, Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht, 1895; heute im Wien Museum

Die attackierte Hexe

Zur Popularisierung bietet sich auch die Bildhauerin Teresa Feodorowna Ries an. Ihre überlebensgroße Marmor-Skulptur „Hexe bei der Toilette für die Walpurgisnacht“ markiert den fulminanten Start in die Ausstellung „Die Stadt der Frauen“. Wohlgemerkt, eine zerstörte Hexe, da sie von Besuchern damals attackiert worden war. Es ist eine nackte Hexe mit Besen, die einen gleichsam anfunkelt. Was für ein Statement, was für eine Künstlerin! Sabine Fellner bezeichnet Ries als eine femme fatale, eine selbstbewusste Frau mit vielen Liebhabern, unterwegs in den Wiener Salons und Galerien der Jahrhundertwende. Ries war eine gefragte Portraitistin. So ließ etwa Mark Twain seine Büste von ihr machen. Sie war Mitbegründerin der „Gruppe der acht Künstlerinnen“. (Wer schreibt jetzt bitte mal ein Buch über diese Frauengruppe?) Ries wurde in der Weltausstellung in Paris 1900 ausgezeichnet und starb vergessen in der Emigration in der Schweiz. That´s Herstory.

Klimt, Schiele, Kokoschka. Und daneben Koller-Pinell, Ries und wer noch?

Tina Blau? Sie hat, so Sabine Koller, impressionistische Bilder gemalt, als es in Wien noch keiner tat. Ihr riesiges Gemälde vom Wiener Prater verschlägt einem in der Ausstellung fast den Atem. Oder doch die Antifaschistin Friedel Dicker, die in Bauhaus bei Johannes Itten studiert hatte, in Berlin und Wien als Innenarchitektin und Collage-Künstlerin arbeitete. Als Kommunistin war sie im Widerstand, im Untergrund tätig, wurde von den Nazis mehrfach verhört, festgenommen und schließlich in Theresienstadt ermordet. Ihr Mixed Media Bild „Verhör I“ und „Verhör II“ sind für mich die eindrucksvollsten künstlerischen Darstellungen des NS-Terrors überhaupt.

Klimt, Schiele, Kokoschka und daneben Koller-Pinell, Ries, Dicker?

Oder doch auch Elena Luksch-Makovksy, deren Jugendstil-Bild eines pubertierenden Mädchens 1903 prominent im Eingangsbereich der Sezession hing (Ein kurzer Videoclip dazu hier)? Oder die Expressionistin Helene Funke, die im legendären Paris der 1920er Jahre agierte?
Wen würdet ihr auswählen? Ich fürchte wir brauchen jetzt mal ein paar merkfähige Pop-Stars.

Auf zur Popularisierung von Koller-Pinell & co!

Wegweiser zu den Frauen des fin de siecle
Wegweiser zu den Frauen des fin de siecle

Seit einigen Jahren werden diese Künstlerinnen durch die kunsthistorische Forschung langsam dem Vergessen entrissen, diese realitätsverzehrende Lücke aufgearbeitet und die Bilder und Skulpturen dort und da in Ausstellungen gezeigt (z.B. „Die bessere Hälfte“ im Jüdischen Museum). Dennoch dringen „Klimts Schwestern“ nur sehr langsam in das öffentliche Bewusstsein ein. Eine neuere BBC-Doku (2014) zu Wien 1900 reproduzierte einfach den abgekappten Männer-Kanon.

Immerhin hängen, wie ich nun erfuhr, seit Frühling 2018 und wieder ab 20. Mai 2019 einige Bilder der wiederentdeckten Jugendstil-Malerinnen Koller-Pinell und Luksch-Makovsky in der neuen Dauerausstellung im Oberen Belvedere gleich neben Klimt und Schiele. Endlich. Doch wir alle müssen sie erst kennenlernen, viel mehr über sie als einzelne Künstlerinnen und über ihre Netzwerke erfahren, Geschichten über sie lesen und schreiben. Also, ab ins Museum! „Die Stadt der Frauen“ gibt es nur noch bis Sonntag, 19. Mai 2019 zu sehen. Auf in eine Ausstellungsführung! Auf zur Popularisierung von Koller-Pinell & Co. .
Die Ausstellung „Stadt der Frauen“ sollte Basis einer großen Dauerausstellung werden, noch besser: eines eigenen österreichischen Museums zur Kunst von Frauen. A museum of her own. Ähnlich dem großen und ehrwürdigen „National Museum of Women in the Arts“ in Washington, D.C..

Denn wir brauchen diese weiblichen Identifikationsfiguren.

Judith Wolfsberger, Writers’studio

Titelbild: Broncia Koller-Pinell, Silvia Koller mit Vogelkäfig, 1907/08 © Vera Eisenberger KG, Wien

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Judith Wolfsberger

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