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Dingsda als Herrschaftsform

Die Dinge rund um uns sind ein Teil unserer Identität, also unseren materiellen Selbst. Doch wer beherrscht wen, wir die Dinge, oder die Dinge uns? Das Buch von Frank Trentmann „Herrschaft der Dinge“ gibt Antworten.

Was bedeutet konsumieren?

Konsum ist mehr als der bloße Erwerb von Dingen, es geht um die Nutzung, das Sammeln bis zur Entsorgung von Dingen. Ursprünglich bedeutete das Wort „Verbrauchen von materiellen Dingen“. Durch die Entwicklung des Kapitalismus ging es dann um Kaufkraft und auch die verschiedenen Weltanschauungen beschäftigten sich ausführlich mit der Rolle des Konsums im Gesellschaftsgefüge: Während KonsumkritikerInnen den Konsumenten als passiven durch Werbung und Marketing verführten Menschen hervorheben, betonen die liberalen VerfechterInnen die Wahlfreiheit von KundInnen. Dabei besticht das Buch durch seine Moralfreiheit, weder wird Konsum verherrlicht noch verdammt. Stattdessen wird die Herrschaft der Dinge anhand vieler verschiedener Facetten und auf der Mikro- bis Makroperspektive faktenreich behandelt. KonsumentInnen werden weder als passive und von der Werbung verführte Menschen beschrieben, noch als komplett losgelöst von einem gesellschaftlichen Kontext. Die Dinge rund um uns nicht daher mehr als Dinge, sie sind mit Bedeutung, Status und Gefühlen aufgeladen, sie sind  mehr als eine Espressomaschine, ein Bett oder ein Auto, sondern ein Teil unserer Identität, also unseren materiellen Selbst.

Konsum erzeugt mehr Konsum

Der historische Blick räumt mit der Behauptung auf, dass Konsum ein neues Phänomen seit der industriellen Revolution mit ihrer Massenproduktion sei.  Historisch belegbar ist vielmehr, dass der materielle Hunger schon viel früher durch eine Kombination mehrerer Einflussfaktoren entstand. Zentral hierbei sind die Kultur und der Handel als Verstärker: durch neue Gewohnheiten und kulturelle Sitten einerseits und durch das Sinken der Preise durch neue Handelsrouten andererseits. Als ein Beispiel von vielen dient hier der Kaffee- oder Teekonsum in Europa, der erst gelernt und etabliert werden musste. Wer Tee trinken wollte, brauchte ein Service, Tassen und Löffel, Zucker und so weiter. Konsum schafft tendenziell noch mehr Konsum und ist sozial ansteckend.

Als historische Startpunkte eruiert Trentmann das 15. Jahrhundert. Das frühmoderne Europa (Italien, später England und die Niederlande) oder auch China zur Zeit der Ming-Dynastie bildet den Ausgang. Im Laufe der letzten 500 Jahre ist die Welt durch den Konsum immer materieller geworden. Dadurch hat sich ein stetig steigendes Konsumniveau als Kultur- als auch Wirtschaftsideal etablieren können.

Überfluss und Abfall als Kehrseite

Angesichts des Überflusses, der westlichen Gesellschaften umgibt, drängt sich die Frage auf, warum das Materielle so einen großen Raum einnimmt. Wenn ein Viertel unserer Kleidung niemals getragen wird, wenn Lebensmittel originalverpackt entsorgt werden, und wenn Müll auf unseren Meeren treibt,  dann braucht es eine Reflexion und Analyse. Doch der historische Blick auf Abfall relativiert und entmoralisiert: etwa dass der Anteil an Lebensmittelabfall in der Stadt New York 1989 genauso hoch war wie 1905 (wenn die Asche in der fiktiven Vergleichsmülltonne entfernt wird).

Materieller Stoffwechsel der Welt

Das Buch gibt durch den historischen Vergleich Anlass zur Skepsis gegenüber der postwachstumsorientierten Nullwachstumsthese. Denn langsames bis kein Wachstum verstärke Verteilungskämpfe innerhalb und zwischen den Ländern. Und die wachsende soziale Ungleichheit habe wieder negative Folgen auf das Wirtschafswachstum.

Auch räumt das Buch mit den Verheißungen der (dematerialisierten) Dienstleistungsgesellschaft auf: das Verhältnis zwischen Dienstleistungen und Gütern würde sich, was die Güterproduktion und Handelsströme betrifft, nicht umkehren. Ebenso fänden Dienstleistungen nicht im konsumfreien Raum statt. Auch das Internet kostet eine Menge Strom, den wir konsumieren. Der oft gepriesene Trend zu mehr Teilen und Tauschen statt Kaufen, sei angesichts der Faktenlage eine kleine Größe. Trentmann führt dies darauf zurück, dass der Gesamtnutzen von eingespartem Konsum wegen des Teilens oder Tauschens niedrig sei. Zudem werde dann woanders mehr konsumiert und das Nutzungsverhalten ändere sich nicht grundlegend. Gerade die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien machen sichtbar, dass unser Konsum durch die Technologie nicht weniger, sondern nur effizienter und „smarter“ wird.

Konsumentenrechte als Bürgerrechte

KonsumentInnen mit ihren Märkten sind immer eingebettet in wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen. Dennoch ist der Konsum ein Phänomen, welches überall auf der Welt zu finden ist. Ob in der USA oder in China,  dort wie da gäbe es ein Wechselspiel zwischen Versorgung und Nachfrage materieller Normen und Ansprüche. Lebensstile mit ihren sozialen und ökologischen Folgen sollten nach Trentmann nicht länger nur eine individuelle Geschmacksfrage oder ein Aspekt der Kaufkraft sein, sondern vielmehr Teil einer gesellschaftlichen Debatte. Die Politik müsse ihrer Verantwortung stärker nachkommen. In diese Richtung geht auch eine der Schlussfolgerungen des Buches:  wir als KonsumentInnen sind nicht nur KundInnen mit Bedürfnissen, sondern auch StaatsbürgerInnen.

Geschichtswissenschaft als Zukunftswegweiser

Wie schon die interessanten historischen Analysen von Yuval Noah Harrai in seinen Büchern zur Menschheitsgeschichte, kann auch die „Herrschaft der Dinge“ einen neuen Blick auf unsere (alte) Konsumkultur geben. Die Geschichtswissenschaft zeigt auf, welche Entwicklungen im Jetzt enthalten sind, und wie alt manche neuen Phänomene de facto sind. Vielleicht können wir das hier aufbereitete Wissen gedanklich im Sinne der ursprünglichen Bedeutung des Konsums verbrauchen oder gar recyclen, um eine Welt, die besser im Einklang mit den vorhandenen Ressourcen und einer Lebensqualität für alle steht, zu gestalten.

 

Trentmann, Frank (2018): Herrschaft der Dinge. Die Geschichte des Konsums vom 15. Jahrhundert bis heute. München: Verlagsgruppe Random House.

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Anna Schopf

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