reflektive

Der Konter als Allzweck-Antwort

Am Dienstagabend in der ZIB 2 traf ein sachlich argumentierender und über seinen Interviewpartner am Ende kopfschüttelnder Othmar Karas auf Harald Vilimsky, der in Viktor Orban einen Helden sieht, bei dem sich ganz Europa bedanken müsste. Wenn ein Verfahren, das sich mit Grundrechten und Rechtsstaatlichkeit auseinandersetzt, als I-Tüpferlreiterei und Maßregelung begriffen werden, dann haben wir es mit der Logik von Rechtspopulisten zu tun.  reflektive hat sich das Gespräch als Lehrstück populistischer Fragenbeantwortung, das sich um linke Übermächte, Helden und Völkerfamilien, die nicht nach Pfeifen tanzen, dreht, genauer angesehen.

Die Europäische Volkspartei (EVP) hat es mit der Fidesz Partei als Mitgliedspartei nicht leicht. Ihre Glaubwürdigkeit steht ein Dreivierteljahr vor der nächsten EU-Wahl auf dem Spiel. Soll man zustimmen, dass die ungarische Schwesterpartei einem Artikel 7 Verfahren ausgesetzt wird oder nicht? Die ÖVP-EU-Parlamentsfraktion – geführt von Othmar Karas – hat sich für eine Zustimmung ausgesprochen. Im ZIB2-Interview argumentiert Karas seine Zustimmung mit der Fülle der offenen Fragen zu Korruption, NGOs, Universitäten und  Antisemitismus in Ungarn. Das Gesprächsverfahren nach Artikel 7 (des Lissabonvertrags) sei, wie der Name sagt, ein Verfahren und kein Ausschluss. Das Parlament leite den Prozess nur ein, zuständig für die Durchführung sei dann der Europäische Rat, also die Regierungs- und Staatschefs.

Von Pfeifentanz, Völkerfamilien und Feinden

Armin Wolf, der das Doppel-Interview eher als Pingpong zwischen den beiden führt und sich deswegen auch die Möglichkeit nimmt, Nachfragen und Zwischenfragen zu stellen, fragt Vilimsky, warum Orban bei all diesen offenen Fragen ein  „Held“, wie Vilimsky in einer Rede vor dem EU-Parlament behauptet hat, sei. Darauf folgt der erste Einstieg des FPÖ-Fraktionsführers gleich mit dem ersten Konter. Er könne auch „eine ellenlange Liste von Verstößen der Union gegen fundamentale Werte bringen“, das tue er aber nicht. Mit seiner Antwort wird die EU als Ganzes problematisiert und so weg von den Grundrechtsverletzungen in Ungarn gelenkt. Für Vilimsky sollte die EU eine Art „Völkerfamilie, die einander in Wollwollen begegnet“ darstellen, und sinngemäß sollte es in einer Familie ja auch keine Vertragsverletzungsverfahren geben. Er malt ein Szenario der Bedrohung durch ein solches Verfahren aus: Es gäbe dann Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn, gegen Polen (das stimmt im Übrigen so nicht mehr, Anm. reflektive), übermorgen gegen Tschechien oder Italien und vielleicht auch gegen Österreich, „wenn wir nicht nach der Pfeife der Europäischen Union tanzen“. Denn „einander am Gerichtshof bekämpfen, das ist der falsche Weg“.

Karas holt die Aussagen von Vilimsky  wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: er bezieht sich auf die gemeinsamen Grundrechte. Es gehe nicht darum, „nach einer Pfeife zu tanzen“, und die Demokratie sei die  Grundlage der politischen Auseinandersetzung.  Artikel 7 sei kein Gerichtshof, sondern ein politisch organisierter Dialog, das Parlament leitet nur den Dialog ein, die weiteren Schritte seien Aufgabe des Europäischen Rates. Karas stellt allen SkeptikerInnen die Gretchenfrage nach der Rechtsstaatlichkeit. Karas stellt gewissenhaft klar: „Wir brauchen nicht neue Feinde suchen, sondern wir müssen die Gemeinsamkeiten suchen“. Dazu gehöre für ihn auch die Grundrechte, das europäische Recht und die liberale Demokratie, die Minderheiten schützt, die Freiheit und Unabhängigkeit schützt.

Verschwörungsbild der linken Mehrheit in der Europäischen Union

Auf die Frage von Armin Wolf, warum Vilimsky Orban verteidige, der doch die liberale Demokratie abschaffen, antwortet Vilimsky wiederum mit einem Gegenkonter, der in keinem Sinne die Frage beantwortet:

„Aber das stimmt doch gar nicht. Aber wie fair und gerecht es zugeht, zeigt alleine das bei der morgigen Abstimmung der Zählvorgang komplett verändert wird, normalerweise zählen Stimmenthaltungen mit, für morgen um diese Sache durch zu peitschen werden Stimmenthaltungen nicht gewertet. Das zeigt nur ein bisschen wie wenig fair und wie wenig gerecht es auch hier zugeht. Und ja, ich behaupte eindeutig, dass die Europäische Union, eine linke Mehrheit in der Europäischen Union, gewisse Regierungen nicht haben will.“

Defacto gibt es derzeit in der Europäischen Union, weder im Parlament noch im Europäischen Rat eine linke Mehrheit. Die Gleichsetzung der Europäischen Union mit einer linken Politikausrichtung entspricht daher nicht den realen Kräfteverhältnissen. Die „Veränderung“ des Zählvorgangs ist so auch keine, im Artikel 354 im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) wurde dies im Jahr 2012 so festgelegt (S. 197). Wenn die liberale Demokratie abgeschafft wird, dann ist es, wie die Situation in Polen, Ungarn, der Türkei zeigt mit der illiberalen Demokratie nicht mehr weit.

Sie haben uns ein Denkmal gebaut, und jeder Vollidiot weiß…

Das Heldendenkmal für Viktor Orban wird dann danach von Vilimsky ausgebreitet, dabei wird Migration und Ungeordnetheit als Gegenpol zu Schutz, Lob und Anerkennung argumentativ besetzt: „Für mich ist er deswegen ein Held, und das muss man dazu sagen, weil er in einer Zeit wo Europa ohne Regeln dagestanden ist, wo sämtliche Verträge außer Kraft gesetzt wurden, von Schengen bis Dublin, derjenige war der die europäische Außengrenze, so wie es unser Regelwerk vorsieht auch geschützt hat. Und alle können ihn in Wahrheit dankbar sein, dass diese ungeordnete Migration nach Europa gebremst werden konnte. Und dafür gebührt ihn – sehr wohl Lob und Anerkennung.“

Othmar Karas verweist in seiner Antwort, dass es nicht um die Bewertung von politischen Maßnahmen z.B. im Bereich der Migration gehe, sondern alleine ob Ungarn den Artikel 2 des Lissabon-Vertrags, in dem es um Grundrechte und Demokratie geht, erfüllt. Ebenso verweist Karas analog zum geordneten Verfahren nach Artikel 7 bei den EU-Mitgliedsstaaten (der übrigens aus Erfahrungen der EU-Sanktionen gegen die erste schwarz-blaue Regierung im Jahr 2000 entstanden ist), dass es innerhalb der europäischen Parteifamilien Nachholbedarf gibt und ebenso Verfahren brauche, wie man mit kritischen Schwesterparteien umgeht. Die EVP hat also aus den Fraktionsspannungen Lehren gezogen.

Being Viktor Orban

Armin Wolf fragt Villimsky, warum sich seine Fraktion gerade für Parteien wie der ungarischen Fidesz oder der polnischen PiS interessiert, die als besonders autoritär gelten und wenig Respekt für Meinungs- und Pressefreiheit aufweisen. Und zum dritten Mal gibt es einen Konter, der sich im Vergleich zu den ersten beiden nur als Einschätzung darstellt. Vilimsky antwortet: „Ich glaube das Gegenteil ist der Fall. Diese beiden Parteien verfügen über fulminante Zustimmung aus ihren Bevölkerungen, sie passen nicht ins Konzept der Europäischen Union, oder einer Mehrheit der Europäischen Union und deswegen wird alles unternommen um diese Regierungen zu schwächen. Ich sehe die Politik des Viktor Orban als eine, wo der Rest Europas herzlich danke sagen müsste.“ Danach projiziert sich Vilimsky per Gedankenspiel in die Person Viktor Orbans, der zuhört, was Karas über ihn sagt. Er, wäre er Orban, würde morgen sagen: „danke auf wiederschaun“

Für FPÖ ist das Europäische Parlament ein maßregelnder Brüsseler Zentralismus

Im letzten Teil geht es um das Spannungsfeld der Koalition und der europäischen Ausrichtung von ÖVP und FPÖ im Europaparlament. Harald Vilimsky  fasst seine Argumentation noch einmal zusammen: er wolle einen Weg, wo wir einander respektieren, wo wir Unterschiede respektieren. Der geordnete Dialog sei für ihn aber I-Tüpferl- und Paragraphenreiterei. Othmar Karas spricht im Duktus eines Bundespräsidenten, für ihn stehen Recht und Werte über Parteipolitik, er spricht sich abschließend gegen Feindbilder und Verschwörungstheorien aus.

Aus der Antwort von Harald Vilimsky geht hervor, dass die ÖVP-Fraktion im Europaparlament nicht mit der FPÖ zusammenarbeitet. Auf Koalitionsebene gäbe es stattdessen eine gute Zusammenarbeit: „Es klappt auf Regierungsebene in Österreich hervorragend miteinander, es sind unglaublich viele Sympathie, äh Synergieeffekte zu verzeichnen und eine unglaubliche Reformintensität, die das Land in eine bessere Zukunft entwickeln können.“

Mit der Sympathie zwischen Karas und Vilimsky ist es aber schlecht bestellt.

 

Möglichkeit zur Nachschau, Link zur Langfassung des Interviews.

 

Weitere Information zu Artikel 7:

Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrag über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 2007 (S. 13)

Vertrag über die europäische Union, konsolidierte Fassung, 2012 (EUV) (S. 19)

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Anna Schopf

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