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Cui bono? Steuerpolitik auf Kosten der Armen

Die Steuersenkungspläne der schwarz-blauen Regierung werden – ohne entsprechende Gegenfinanzierungsmaßnahmen – zu einer Umverteilung von unten nach oben führen. Sie gehen eindeutig auf Kosten der niedrigen und mittleren Einkommen.

Der Klassiker von den Schuldenbergen und das Vergessen von einem Jahrzehnt voller ÖVP-FinanzministerInnen

Schwarz-blau erzählt das klassische neoliberale Märchen, das sich leider auch im medialen Diskurs längst durchgesetzt hat: Die Abgaben in Österreich sind viel zu hoch, ja gar drückend ist die Abgabenlast. Leistung werde zu wenig belohnt und die Freiheit eingeschränkt. Und obwohl die Abgaben so hoch sind, reichen die Einnahmen nicht aus um die Ausgaben zu finanzieren. Aber nicht nur das, durch den hohen „Schuldenberg“ würden die darauffolgenden Generationen belastet. Bereits in der Präambel legt sich die Regierung fest: „Wir setzen uns als Ziel, die Steuer- und Abgabenlast nachhaltig zu senken und mittelfristig keine neuen Schulden mehr zu machen.“ (Seite 7)

Konkret soll die Steuer- und Abgabenquote in Richtung 40% gesenkt werden. „Deutliche Entlastungsschritte“ sollen durch „ausgabenseitige Einsparungen und Strukturreformen“ finanziert werden. „Neue Steuern“ werden abgelehnt. Sebastian Kurz (Kurier-Interview, 17.12.2017): „Wir werden keine neuen Steuern einführen, sondern Steuern erstmals seit langem senken“. [1] Die Tarifreform 2015/16 mit einem Volumen von 5 Mrd Euro und eines der wichtigsten Projekte der vorangegangenen Regierung dürfte dem damaligen Außenminister Sebastian Kurz nicht bekannt sein.

Die Abgaben sind aber nicht nur zu hoch, es ist auch alles viel zu kompliziert. „Das Steuerrecht ist durch unzählige unsystematische Ausnahme- und Sonderbestimmungen belastet, welche es zu entrümpeln gilt.“ (Seite 125). Beim Lesen des Regierungsprogramms gewinnt man den Eindruck, dass die ÖVP in den vergangenen zehn Jahren (Molterer, Pröll, Fekter, Spindelegger, Schelling) nicht das Finanzressort gestellt hat.

Standortinteressen stehen für Schwarz-Blau im Mittelpunkt. Die Argumentation lautet, alles, was für den Standort gut ist, muss auch für die BürgerInnen gut sein: „[…] Genau diese [strukturelle Veränderungen] sind aber für eine nachhaltige und zukunftsorientierte Entwicklung Österreichs entscheidend – im Interesse des Standorts, der Unternehmen und damit im Interesse der Bürgerinnen und Bürger.“ (Seite 128) Diese Reihenfolge entlarvt sich selbst.

Wie ist die gegenwärtige Situation?

Richtig ist, dass Österreich mit 42,9% des BIP (Jahr 2016) eine im internationalen Vergleich hohe Abgabenquote hat. Eine höhere Abgabenquote als Österreich in der EU haben Frankreich (47,6%), Dänemark (47,3%), Belgien (46,8%), Schweden (44,6%) und Finnland (44,3%). [2]

Eine hohe Abgabenquote ist tendenziell ein Indikator für einen guten Ausbau des Sozialstaats sowie für qualitativ hochwertige öffentliche Leistungen (zB. Gesundheit). Aus diesem Grund ist die Abgabenquote in Dänemark, Belgien oder Schweden höher bzw. auf ähnlich hohem Niveau wie in Österreich. Die Höhe der Abgabenquote hängt stark davon ab, wie das Pensions-, Gesundheits- und Bildungssystem organisiert ist. Verpflichtende Beiträge an private Versicherungen und Pensionskassen erhöhen die Abgabenquote nicht. Private Ausgaben für Bildung erhöhen die Abgabenquote ebenfalls nicht. Wenn die Abgabenquote niedrig ist, weil Leistungen privat organisiert sind und nicht öffentlich, müssen diese trotzdem bezahlt werden.

Österreich hat eine im internationalen Vergleich hohe Abgabenquote, das ist also unbestritten. Das ist aber nicht das Problem. Problematisch ist, wer in Österreich Steuern und Abgaben in welcher Höhe bezahlt oder wer sie eben nicht zahlt. Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern wird auch regelmäßig in Publikationen von OECD oder IWF aufgegriffen. Bestimmte vermögensbezogene Abgaben sind nämlich besonders „wachstumsverträglich“ während Steuern auf Erwerbsarbeit wachstumshemmend wirken.

Leistungsloses Einkommen durch Erbschaften wird in Österreich nicht besteuert. Im OECD-Schnitt machen die vermögensbezogenen Abgaben 1,9% des BIP aus, in Österreich nur 0,6% des BIP. Angesichts der immens starken Konzentration von Vermögen bei einigen wenigen – Schätzungen zufolge verfügt das reichste Prozent der privaten Haushalte über 40,5% des gesamten Nettovermögens[3], wäre eine stärkere Besteuerung von Vermögen dringend notwendig. Diese Fakten ignoriert die schwarz-blaue Bundesregierung völlig. Darüber hinaus wäre endlich zu hinterfragen, warum Kapitaleinkommen im Vergleich zu Erwerbseinkommen steuerlich begünstigt werden. Während für Einkommen aus Erwerbseinkommen ein progressiver Tarif (bis zu 50 bzw. 55% Grenzsteuersatz) gilt, werden Kapitalerträge mit einer Flat Tax von 25% Kapitalertragsteuer bzw. 27,5% KESt auf Dividenden besteuert. Dabei handelt es sich um leistungsloses Einkommen.

Was will die Regierung konkret ändern?

Die wichtigsten Änderungen umfassen folgende Punkte:

  • Senkung der Abgabenquote in Richtung 40% des BIP
  • Schuldenbremse in die Verfassung
  • Familien-Steuerbonus bis zu 1.500 Euro pro Kind – gilt nur für Lohn- und Einkommensteuerpflichtige
  • Neukodifizierung des Einkommensteuergesetzes
  • Änderung des Einkommensteuertarifs (laut chwarz-blau für BezieherInnen kleiner und mittlerer Einkommen)
  • Abschaffung der kalten Progression mittels Automatik
  • Senkung des Umsatzsteuersatzes von 13% auf 10% für Übernachtungen
  • Senkung der KöSt (auf nicht entnommene Gewinne)
  • Maßnahmen gegen Steuerbetrug: Einführung einer digitalen Betriebsstätte auf EU- oder OECD-Ebene

Im Folgenden werden einige der zentralen Änderungen für die Bevölkerung  analysiert.

Massive Einschnitte im Sozialbereich treffen vor allem NiedrigverdienerInnen

Die Steuer- und Abgabenquote möchte die schwarz-blaue Bundesregierung „in Richtung“ 40% senken. „Deutliche Entlastungsschritte“ sollen durch „ausgabenseitige Einsparungen und Strukturreformen“ finanziert werden.

Für eine Senkung der Abgabenquote auf 40% wären Kürzungen von 12 bis 14 Mrd Euro bis zum Jahr 2022 notwendig. Auch wenn die schwarz-blaue Regierung immer wieder von Bürokratieabbau, Effizienzpotentialen und Optimierungen spricht, ändert das nichts daran, dass es schlicht nicht möglich ist derartige Summen ohne tiefgreifende Leistungskürzungen im Sozialbereich zu lukrieren. Die angedachten Reformen im Bereich der Sozialversicherungsträger reichen dafür genauso wenig wie die Streichung der Familienbeihilfe für EU-BürgerInnen mit Kindern, die in einem EU-Staat ansässig sind (ca. 270 Mio Euro von 4,4 Mrd Euro Familienbeihilfe gesamt) oder das Liebäugeln der schwarz-blauen Regierung mit den deutschen Hartz IV-Reformen (Abschaffung der Notstandshilfe, Einsparungspotential bis zu 1 Mrd Euro bei Deckelung bis BMS auf 1.500 Euro), die zu einem beträchtlichen Anstieg der Armutsgefährdung führen würde [4], deren Folgekosten nicht kalkuliert wurden. Auf mehrmalige Nachfrage zur Finanzierung in der ZIBspezial kündigt Kurz Einsparungen/Kürzungen in folgenden Bereichen an, mit denen sich ebenfalls nicht die gewünschten Milliarden finden lassen: Einsparungen/Förderungskürzungen in den Ressorts, Nachbesetzung jeder dritten Planstelle bei Pensionierung, „Redimensionierung“ Beschäftigungsbonus und „Aktion 20.000“, „Einsparungen im System“ durch Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger. Meint es die schwarz-blaue Regierung mit der Senkung der Abgabenquote wirklich ernst, müssen wir mit massiven Einschnitten im gesamten Sozialbereich (Pensionen, Pflege, Gesundheit usw.) rechnen, die zu deutlich mehr Armut und stärkerer Ungleichheit führen werden. Während in den Wahlprogrammen von ÖVP und FPÖ noch die Rede davon war, dass die Abgabenquote „auf 40%“ gesenkt werden soll, wurde das im Regierungsprogramm auf „in Richtung 40%“ geändert. Angeblich gibt es noch einen „Sideletter“ zum Regierungsprogramm zur Finanzierung, dort sind Einsparungen bzw. Kürzungen von 1,4 Mrd Euro vorgesehen. Dieser Sideletter wurde von der Regierung nicht veröffentlicht, sondern nur an ausgewählte JournalistInnen weitergegeben. Die Differenz zw. 14 Mrd. und 1,4 Mrd Euro dürfte aber auch dort erheblich sein.

Niedrige Einkommen haben von Steuersenkungsplänen nichts

Die Steuersenkungen in der Lohn- und Einkommensteuer durch eine Änderung des Tarifs und durch einen Steuerbonus (bis zu 1.500 Euro pro Kind) schließen jene 30% der ArbeitnehmerInnen, die trotz Arbeit ein so geringes Einkommen haben, dass sie noch nicht steuerpflichtig sind, völlig aus. Sie werden von diesen Maßnahmen gar nichts haben. Wenig überraschend, sind in dieser Gruppe besonders viele Frauen. Ein Kind mit Eltern mit geringem Einkommen ist durch den Steuerbonus weniger wert als ein Kind mit Eltern mit mittlerem oder höherem Einkommen. Da Männer höhere Einkommen als Frauen haben, können sie den Steuerbonus häufiger in vollem Ausmaß ausschöpfen und profitieren daher stärker als Frauen von dieser Maßnahme. Das Nettoeinkommen der Männer wird also stärker erhöht werden als jenes der Frauen. Die Kosten für den Steuerbonus für Kinder sind hoch – im ÖVP-Wahlprogramm wurden sie mit 2 Mrd Euro angegeben. Das ist eine Umverteilung auf Kosten von armen Eltern.

Die Tarifsenkung im Bereich der Einkommensteuer wird die Ungleichheit erhöhen und benachteiligt Frauen. Wie hoch, die Tarifsenkung ausfallen wird, ist noch offen. Laut Regierungsprogramm soll die Lohn- und Einkommensteuer insbesondere kleinere und mittlere Einkommen gesenkt werden. Klargestellt hat Kanzler Kurz bereits, dass nur jene gemeint sind, die Lohn- und Einkommensteuer zahlen. Jene 30 Prozent deren Einkommen noch nicht steuerpflichtig ist, werden also nicht einen Cent mehr bekommen. Rein technisch ist es so, dass von einer Senkung der Steuersätze in den unteren Tarifstufen, hohe Einkommen in vollem Ausmaß profitieren, weil diese den vollen Entlastungseffekt mitnehmen. Abschwächen lässt sich dieser Effekt nur, wenn die Steuersätze in den oberen Tarifstufen angehoben werden. Darauf deutet aber nichts im Regierungsprogramm hin.

In der ZIBspezial (18.12.2017) sprachen Kurz und Strache davon Einkommen bis 1.900 Euro Brutto entlasten zu wollen. Hier geht es um eine Reduktion der Arbeitslosenversicherungsbeiträge [5]. Bis zu einem Einkommen von 1.342 Euro sind allerdings schon bisher keine Arbeitslosenversicherungsbeiträge zu entrichten. Damit sind insgesamt etwa 40% der unselbstständig Erwerbstätigen und alle PensionistInnen von der Maßnahme ausgeschlossen. Bei den unselbstständig erwerbstätigen Frauen haben über 50 Prozent ein zu geringes Einkommen, um davon zur profitieren.

Eine automatische Abgeltung der kalten Progression (Erhöhung der Tarifstufen um durchschnittliche Inflation) hatten sowohl ÖVP als auch FPÖ in ihren Wahlprogrammen stehen. Die automatische Abgeltung soll nun nur mehr geprüft werden. Diese wäre ohnehin nicht sinnvoll, da eine Automatik zu einer automatischen Umverteilung von unten nach oben führt [6]. Die Preissteigerungen bei Mieten und Nahrungsmitteln waren in den letzten Jahren deutlich höher als die durchschnittliche Inflation. Niedrige und mittlere Einkommen geben für Mieten und Nahrungsmittel relativ zu ihrem Einkommen deutlich mehr für diese Produktgruppen aus.

Die Neukodifizierung des Einkommensteuergesetzes war bereits im letzten Regierungsprogramm enthalten. Zumindest seit dem Jahr 2015 ist dazu auch eine Arbeitsgruppe im BMF eingerichtet. Ob das Projekt diesmal klappen wird, wird man sehen.

Steuergeschenke für den Tourismus

Mit der geplanten Senkung der Umsatzsteuer von 13% auf 10% auf Beherbergungen wird eine Gegenfinanzierungsmaßnahme der Steuerreform 2015/16 wieder rückgängig gemacht. Nach Rekordnächtigungszahlen im Jahr 2016 (die Erhöhung auf 13% gilt seit Mai 2016) und einer weiterhin guten Entwicklung im Jahr 2017 ist wohl kaum davon auszugehen, dass die Senkung der Umsatzsteuer an die KonsumentInnen weitergegeben wird, weil die Nachfrage weiterhin hoch ist. Insofern ist diese Maßnahme ein Steuergeschenk an die Tourismuswirtschaft. Vielleicht ist das die neue Nachhaltigkeit.

Cui bono – wer ist nun der Dumme?

Die schwarz-blauen Steuerpläne sind für mittlere bis niedrige Einkommen doppelt problematisch: Einerseits profitieren sie (gar nicht oder zumindest) weniger stark von den Steuersenkungsplänen und andererseits werden sie von den Einschnitten im Sozialbereich stark betroffen sein. Die großen Gewinner sind die SpitzenverdienerInnen und die Vermögensreichsten. Sie werden am meisten von den Steuersenkungen profitieren, ihre Erbschaften bleiben steuerfrei und ihre Kapitaleinkommen werden weiterhin steuerlich begünstigt.

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